Interview: Maximilian Erlenwein über »Stereo«

Stereo

Foto: Wild Bunch

"Mich faszinieren Abgründe in Figuren"

Wenn ich mir den 30minütigen dffb-Film Blackout, Ihr Langfilmdebüt Schwerkraft und jetzt Stereo anschaue, sehe ich darin so etwas wie eine Trilogie: Männer entdecken ihr Potenzial für Gewalt.

Offensichtlich ist das etwas, was mich interessiert, das ist mir nach drei Filmen dann auch klar geworden. Mich faszinieren Abgründe in Figuren. Ich glaube, dass jeder von uns sehr wenig über sich weiß: ich habe keine Ahnung, wie ich in einer Extremsituation reagieren würde, wenn es um Leben und Tod geht – welche  Seiten sich da plötzlich auftun in mir. Ich glaube, dass man viel weniger Kontrolle über sich selbst hat, als man glaubt. Man wird eher kontrolliert von verborgenen Mechanismen, Wünschen und Trieben und hat kaum Zugriff darauf. Wenn dann durch äußere Umstände auch die dunklen Seiten eines Charakters hervortreten, dann ist das in einer Geschichte immer ein ganz starkes Spannungselement – wenn der größte Feind in einem selbst ist, wenn man mit sich selbst kämpfen muss.

Gab es für Blackout einen konkreten Auslöser?

Ich hatte einen guten Freund, der eigentlich der netteste und begabteste Mensch war, und der neigte auch zu solchen Ausbrüchen. Diese Zerstörungswut kam aus dem Nichts, für mich absolut nicht nachzuvollziehen. Aber es war eben auch faszinierend, zwei wirklich gegensätzliche, eigentlich widersprüchliche Seiten in einem Menschen zu sehen.

War die schwierige Akzeptanz deutscher Genrefilme im Vorfeld der Produktion von Stereo ein Thema in den Gesprächen mit dem Verleih?

Klar war das Thema. Wir hatten halt Glück, dass der Verleih Wild Bunch das Drehbuch sehr mochte und von Anfang an den Film geglaubt hat. Natürlich ist es ein Wagnis, weil die Zuschauer es nicht gewohnt sind, dass ein guter Genrefilm aus Deutschland kommen kann. Ich kann es ihnen auch nicht verübeln. Mir geht es ja auch meistens so, wenn ich zwischen einem amerikanischen und einem deutschen Genrefilm wählen kann, wähle ich den amerikanischen. Es wäre aber traurig und langweilig, wenn es in den nächsten zwanzig Jahren nur deutsche Komödien oder Romanverfilmungen an der Kinokasse schaffen würden. Das wird sich nur nicht von heute auf morgen verändern -– es muss erstmal so etwas wie eine Tradition guter Genrefilme entstehen. Die Zuschauer müssen erstmal daran gewöhnt werden. Aber wenn keine Genrefilme gemacht werden, kann sich auch nichts ändern. Hätten wir ein ‚FSK 18’ bekommen, dann hätte der Verleih wahrscheinlich gesagt, das ist kommerziell ein Desaster und ich hätte etwas entschärfen müssen.

Wie schwer war es bei diesem Film mit Filmförderungen und Sendeanstalten? Haben die alle gesagt, Schwerkraft war toll, das machen wir wieder – oder war es schwerer?

Das war schwerer. Bei den Sendeanstalten nicht, bei den Förderungen dagegen war es nicht so einfach. Da mussten wir ein paar Runden drehen und haben ein paar schmerzhafte Absagen kassiert.

Wegen der Gewalttätigkeit?

Das weiß ich nicht. Ich glaube, es ist einfach ungewohnt für die Förderungen, so ein schräges Drehbuch auf den Tisch zu bekommen. Zudem sind in den letzten Jahren fast alle Versuche, Genrefilme ins Kino zu bringen, an der Kasse gescheitert.

Musstet Ihr den Film daraufhin umschreiben im Hinblick auf die Locations?

Umschreiben nicht, aber es war so, dass wir eine Reiseproduktion waren. Durch die Richtlinien durften wir einen Grossteil des Geldes nur in Sachsen-Anhalt, NRW und Bayern ausgeben, leider nicht in Berlin. Das nimmt dann schon bei der Motivsuche teilweise absurde Züge an. Die Szenen auf dem Land haben wir in Coburg und um Halle gedreht, die Clubszenen in Köln.

Das kann man nicht durch Postproduction ausgleichen?

Nein, man muss Drehtage garantieren.

Gab es mal eine Überlegung, die Rollen zwischen Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu zu tauschen?

Ganz am Anfang habe ich einmal überlegt, ob Jürgen nicht auch Henry spielen sollte. Aber ich hatte Jürgen das Buch in einem relativ frühen Stadium gegeben und für ihn war klar, dass er Erik spielt. Ich hatte es ein wenig offen gelassen – ihn als Henry zu besetzen, wäre irgendwie nahe liegender gewesen, und gerade deswegen war es besser, es nicht zu tun.
Als Gegenpart zu Jürgen brachten wir jemand, der eine ähnlich starke Präsenz hat, eine ähnliche Physis - da kommt man schnell auf Moritz Bleibtreu

Benötigten die beiden von Regieseite trotzdem eine ganz unterschiedliche Arbeitsweise?

Nö. Das sind beides Vollprofis und irgendwie Bauchmenschen. Die gehen ähnlich an die Sache ran. Fabian Hinrichs z.B., der soviel Theater spielt, mag es zu proben und spielt sich über mehrere Takes warm. Jürgen dagegen steht nicht so auf Proben.

Fabian Hinrichs war brillant in den Hauptrollen von Blackout und Schwerkraft

Wir haben uns über gemeinsame Bekannte kennen gelernt, dann habe ich ihn im Theater gesehen, wir haben uns angefreundet, haben dann auch lange in einer WG zusammen gelebt, zusammen mit dem Hamburger Regisseur Till Franzen (Die blaue Grenze). Fabian ist ein Ausnahmeschauspieler, wir werden auf jeden Fall wieder zusammen arbeiten. Aber mit Jürgen ist das ja nun auch schon der zweite Film. Ich kenne ihn mittlerweile auch sehr gut und kann mir beim Schreiben vorstellen, wie er eine Szene spielen wird. Auch wenn er mich am Set dann doch wieder überrascht.

Nicht nur die Hauptdarsteller bleiben aus Ihren Arbeiten im Gedächtnis, auch andere, in Nebenrollen, wie Eleonore Weisgerber als Fabian Hinrichs’ Kollegin in Schwerkraft.

Die großartige Eleonore hat mir damals Silke Koch, die das Casting gemacht hat, vorgeschlagen. Silke hatte auch die Idee, "Reiner Grimm" nicht von einem Deutschen spielen zu lassen und hat mir Jeroen Willams aus Holland nahe gelegt. Recht hatte sie.

Mit dem Kameramann Ngo The Chau gibt es eine kontinuierliche Zusammenarbeit seit 2002. Ihr wart an der dffb im selben Jahrgang. Was sind seine speziellen Qualitäten?

Chau ist nicht nur ein großartiger Kameramann, sondern ein Vollblut-Filmemacher, der immer an die Geschichte denkt. Ein echter kreativer Partner. Das ist unbezahlbar.

Wie genau arbeiten Sie vorher gemeinsam das visuelle Konzept aus?

Wir bereiten uns so gut vor, wie es geht und halten uns an grundsätzliche konzeptionelle Entscheidungen. Viele Sachen kann man aber nicht vorbereiten – das fertige Szenenbild sieht man ja meist erst kurz vor dem Drehen. Da muss man ohnehin flexibel bleiben. Ich finde es auch wichtig, offen zu bleiben für Ideen, die am Set im Moment entstehen. Aber es ist ein gutes Gefühl, mit einem Plan in den Tag zu starten, den man umwerfen oder verändern kann, wenn man merkt, das die Szene etwas anderes verlangt.

Das Interview mit Maximilian Erlenwein führte Frank Arnold

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