Kritik zu Orca

In Handschellen durch den Persischen Golf: Die iranische Regisseurin Sahar Mosayebi erzählt die Lebensgeschichte der Langstreckenschwimmerin Elham Asghari

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Die ersten Einstellungen von Sahar Mosayebis »Orca« erscheinen wie ein rasanter Trip durch Zeit und Raum. Eine verschleierte Frau unter Wasser ist zu sehen, deren Schwimmbrille dem Grund entgegensinkt – eine Ertrinkende? Danach nimmt Rouzbeh Raigas Kamera eine Zeremonie im Haus des iranischen Sportverbandes in Teheran auf, in dem von den Sittenwächtern autorisierte Sportkleidung für Frauen enthüllt wird. Und dann kommt das blutige und schmerzverzerrte Gesicht der von ihrem Mann Ahmad misshandelten Elham ins Bild, gefolgt von einem Tableau der Ruhe unter Wasser und Krankenhaus-Szenen mit operativen Eingriffen und Bildern der komatösen Patientin. 

»Orca« ist von einer wahren Geschichte inspiriert. Elham Asghari (verkörpert von Taraneh Alidoosti) findet nach der Scheidung von ihrem Mann durch das Schwimmen wieder zu sich selbst. Sie verewigt sich im Guinnessbuch der Rekorde, indem sie in Handschellen den Persischen Golf durchschwimmt; 2017 legt sie 4,2 Kilometer in drei Stunden zurück. »Orca«, geschrieben von Tala Motazedi, erzählt die Geschichte einer traumatisierten Frau, die sich nach zwei Selbstmordversuchen und einem langen, weitgehend stummen Prozess der Neuorientierung freischwimmt und ihr seelisches Gleichgewicht wiederfindet. 

Der Weg dahin führt über ein Minenfeld von inneren, familiären und sportpolitischen Konflikten. In der islamischen Republik Iran gibt es keinen Platz für Schwimmwettbewerbe der Frauen. Mahtab Keramati als oberste Sportfunktionärin Nazar Abadi spiegelt die offizielle Linie mit frostigem Fanatismus. Doch Elhan ist wie ihr Vater ein »dickköpfiger Esel«. Der Ex-Freistilringer (Ahmad Kazemi) wird – wie andere mutige Verbündete – zur Stütze seiner Tochter. Sie geht keinem Gegner aus dem Weg – und seien es mordbereite Revolutionsgarden. 

Taraneh Alidoosti beglaubigt darstellerisch jede Erfahrung und Empfindung ihrer Figur, ihre Traumata und Unterwasser-Träume, ihre Verzweiflung und Kämpfe. Ihre Kunst entfaltet sich in einem ästhetisch anspruchsvollen Rahmen. Die iranische Regisseurin Mosayebi übersetzt Handlung und Emotion in visuelle Poesie. Das Meer erscheint als Zufluchtsort: zuerst als potenzielles nasses Grab, danach als Lebensretter und Motivator. Einmal steht Elham allein und isoliert in einem Schwimmbad: ein von elegischen Streichern (Musik: Dana Al Fardan) begleitetes Sinnbild für die Lage einer Frau im Besonderen und die Lage von iranischen Frauen im Allgemeinen. Ihnen sind zum Beispiel auch Kickboxen und der Kampfsport Muay Thai verboten – es könnte die Fortpflanzungsorgane schädigen. 

Die Regisseurin verzichtet auf wütende Polemik. »Alle Vorfälle in dem Film sind wahr, sie sind real, und Elham hat das alles durchgemacht. Mit diesem Film stellen wir Fakten dar und kritisieren oder verurteilen niemanden«, sagt Mosayebi. Sie macht physische Tortur gleichsam körperlich spürbar. Elhams Triumph inszeniert sie mit optimistisch funkelndem Sonnenlicht, Bewegung, Tanz, rhythmischem Klatschen und Musik. 

Elham Asghari hat viele Rekorde aufgestellt, keiner von ihnen wurde bis heute offiziell anerkannt.

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