Kritik zu Kriegerin

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David Wnendts Spielfilmdebüt, mit dem der 1977 in Gelsenkirchen Geborene sein Regiestudium an der Potsdam-Babelsberger HFF abschloss, trifft auf fast unheimliche Weise aktuelle Entwicklungen

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»Kriegerin« nennt der Großvater hier seine zehnjährige Enkelin Marisa. Der Alte tischt dem Mädchen in ihrem trostlos abgeschiedenen ostdeutschen Dorf verquere Ideale auf, nämlich heimliche Elite eines irgendwie grandiosen, von Fremden bedrohten »Deutschland« zu sein. Mit zwanzig nimmt Marisa (Alina Levshin) das Gefühlsgebräu des sterbenden Großvaters wörtlich. Ihre passive Mutter und der abwesende Vater stehen für abgewirtschaftete DDR-Vergangenheit, der BRD-Alltag bietet null Perspektive, was zählt, ist der Machtrausch der Nazi-Clique. Als tätowierte Nazibraut mit halb abrasiertem Langhaar terrorisiert sie grölend die Fahrgäste eines Überlandzugs.

David Wnendts Spielfilmdebüt mutet einem die Brüche zwischen Härte und Zartheit zu, um hinter der Brutalität seiner Protagonistin Gefühle sichtbar zu machen, die sie aus ihrer autistischen Welt herausholen könnten. Wie unter Schock zieht man gleichsam mit ihrem Pöbeltrupp durch den Zug und sieht den »geilen« Effekt ihrer Gewaltexzesse durch ihre Handykamera. Aufhetzende Rockmusik, Wackelbilder, besoffenes Gebrüll: Nazi sein ist ein Kick, den das magere, vor Hass glühende Mädchen auskostet.

Rechtsradikale Frauen wurden lange als unterdrückte, mäßigend wirkende Bräute unterm Stiefel wüster Jungmännerhorden verharmlost, Kriegerin rückt sie mit einer Wucht in den Mittelpunkt, die noch vor Wochen spekulativ gewirkt hätte. Die Enttarnung der Zwickauer Terrorzelle und ihres Mitglieds Beate Zschäpe zeigt jedoch, dass Wnendts Fiktion die unheimlichen Bindungskräfte der Szene realistisch zu fassen weiß.

Der Film fußt auf intensiven Recherchen, die der Filmemacher in ostdeutschen Landstrichen anstellte. Seine Hauptdarstellerin Alina Levshin hat konkrete Vorbilder, wenn sie die pubertäre Hemmungslosigkeit ihrer Figur genauso beängstigend intensiv verkörpert wie die leisen Momente, in denen die abgespaltene Gabe zum Mitgefühl aufscheint.

Kriegerin setzt bei dieser Offenheit an und erzählt von Marisas potenziellem Ausweg aus der Neonazifalle. Ihre Welt gerät in Aufruhr, als ihr Freund, Muskelmann Sandro (Gerdy Zint), ins Gefängnis kommt, der geliebte Großvater erkrankt und ihre Rolle als Cliquenkönigin durch Svenja, eine von ihren kalten Eltern frustrierte Schülerin (Jella Haase), infrage gestellt wird. Die wahre Herausforderung ist jedoch Marisas Begegnung mit zwei afghanischen Asylbewerbern. Ihre schiere Präsenz im Lebensmittelladen der Mutter löst Schikanen aus, in deren Verlauf Marisa ohne Schutz der Clique zur Täterin wird. Kriegerin erzählt die Geschichte vom Ende pubertärer Verbissenheit, indem Marisa zögernd das lebensgefährliche Risiko eingeht, schwesterliche Verantwortung für den jungen Rasul (Sayed Mrowat) zu übernehmen. Der emotionale Angelpunkt Familie entscheidet über die Haltung der Jugendlichen zum Fremdenhass, lautet das Plädoyer von David Wnendts mitreißendem Film.

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