Kritik zu Im toten Winkel

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2023
Original-Titel: 
Im toten Winkel
Filmstart in Deutschland: 
04.01.2024
L: 
117 Min
FSK: 
16

In ihren Thriller um die Machenschaften eines türkischen Agenten, der zunehmend paranoide Züge entwickelt, lässt Regisseurin Ayse Polat viele aktuelle Themen einfließen

Bewertung: 3
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Nur schwer lässt sich »Im toten Winkel« einem Genre zuordnen. Ayse Polat kreiert für ihren Film eine Mischung aus Sozialdrama, Polit- und Mysterythriller, kombiniert mit Found-Footage-Elementen und medialer Metareflexion. Der in drei Kapitel eingeteilte Film beginnt mit einem deutschen Filmteam, das im Nordosten der Türkei an einer Dokumentation über einen vor langer Zeit verschwundenen Kurden arbeitet. Als der für ein Interview vorgesehene Rechtsanwalt Eyüp verschwindet, wird es für das Team lebensgefährlich. Gekonnt baut der Film ein immer bedrohlicher werdendes Szenario auf und etabliert gleichzeitig ein faszinierendes Spiel mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Immer wieder sieht man das Geschehen aus einer zunächst nicht zuzuordnenden Beobachterperspektive oder durch die Kamera des Filmteams. Letzteres ist ein subjektiver Blick, denn Kameramann Christian (Maximilian Hemmersdorfer) ist anders als Regisseurin Simone (Katja Bürkle) mehr an pittoresken Bildern als an Aufklärung interessiert.

Im zweiten Kapitel wechselt die Perspektive zu Zafer (Ahmet Varli), der im Auftrag einer Organisation – mutmaßlich, aber nicht zwangsläufig ein türkischer Geheimdienst – Eyüp observiert und entführt. Zafer fühlt sich allerdings auch selbst verfolgt und entwickelt zunehmend paranoide Züge; berechtigt, wie sich am Ende herausstellt. 

Überwachung und Spionage haben in der Türkei eine größere Bedeutung als in Deutschland, wie Polat in vielen Interviews betont. An der Figur des Zafer wird deutlich, wie sich ein auf Kontrolle ausgerichtetes System irgendwann selbst auffrisst. Der Überwacher wird zum Verfolgten. Eine große Bedeutung hat auch Zafers Tochter Melek. Sie wird von Alpträumen geplagt und scheint die Machenschaften des Vaters mitzubekommen. Mutter und Vater sind über ihren Zustand gleichermaßen verzweifelt. Das Spiel der kleinen Çağla Yurga ist großartig. Ihr starrer Blick wirkt gleichzeitig süß und unheimlich.

Ein drittes Kapitel zeigt schließlich, wie die Geschehnisse um das Filmteam, Zafers und Meleks Ängste sowie die Aktionen der Organisation zusammenhängen. Wer verstehen will, ist als Zuschauer sehr gefordert. Insbesondere im Laufe des zweiten Kapitels wird es verworren, was auch daran liegt, dass Polat viele Zeitsprünge einbaut und ihr Spiel mit den Blickwinkeln weiter ausbaut. Immer wieder sieht man dieselben Szenen aus einer anderen Perspektive und verfolgt die Geschehnisse durch Handy- und Überwachungskameras – was mit der Zeit doch auf Kosten des erzählerischen Spannungsbogens geht. Die Andeutung von übernatürlichen Fähigkeiten bei Melek scheint schließlich etwas zu viel der Genreelemente. Spannend bleibt, was alles untergründig im Film mitschwingt: das Verschwinden von inhaftierten Menschen in der Türkei, der Konflikt zwischen Türken und Kurden, verdrängte Traumata in der türkischen Gesellschaft. Diese Themen machen den Film besonders in der nachträglichen Diskussion inte­ressant.

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