Kritik zu Hundert Nägel

- leider kein Trailer -

2007
Original-Titel: 
Centochiodi
Filmstart in Deutschland: 
23.09.2010
L: 
92 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Christus kommt bis in die Po-Ebene: Ermanno Olmi, der italienische Altmeister des religiösen Films (»Es kam ein Mensch«, 1965, »Die Bibel – Genesis«, 1994), befasst sich in seinem neuen Spielfilm mit theologischen Grundfragen – und gibt ketzerische Antworten

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Ein Massaker in der altehrwürdigen theologischen Bibliothek: Hundert wertvolle Handschriften und Inkunabeln sind mit langen Zimmermannsnägeln auf dem Parkett fixiert. Verdächtigt wird ein junger – im Film namenloser – Gelehrter, der seinen Selbstmord vortäuscht, um im Anschluss auf rätselhafte Weise zu verschwinden. Der »Professorino« entledigt sich unterdessen seiner weltlichen Habseligkeiten und findet in einer zerfallenen Hütte nahe einer illegalen Siedlung in der Po-Ebene Unterschlupf. Deren Bewohner, in der Mehrheit einfache ältere Menschen, die in dieser Gegend ein karges, aber auch zufriedenes Leben führen, nennen den Aussteiger alsbald Jesus, weil er ihnen mit Sinnsprüchen und biblischen Geschichten die Welt erklärt und sie im Kampf gegen den Abriss ihrer Siedlung unterstützt.

Nicht nur mit der Besetzung der Hauptfigur (wie aus einem Bewerbungsschreiben für Oberammergau: der israelische Schauspieler Raz Degan) begibt sich Ermanno Olmi ungebrochen von jeder Ironie in die religiöse Ikonographie vergangener Jahrhunderte. Seine Bildarrangements, immer wieder Abendmahlszenen mit der entrückten Messiasgestalt in Großaufnahme, auch an die Verräter ist gedacht, erinnern an nazarenische Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Die schöne Bäckerin (Luna Bendandi), eine mangels Gelegenheit keusche Maria Magdalena, ergänzt das Personal. Nur der schon vorbereitete Einzug in das Jerusalem der Armen durch eine mit Kerzen illuminierte Allee – ein unübertrefflich kitschiges Bild – bleibt aus. Am Ende ist der Messias verschwunden, die Bäckerin bleibt unberührt.

Das alles ist zuweilen schwer erträglich und in seinem betulichen Erzählgestus so träge wie der im Abendlicht fließende Po (Kamera: Olmi-Sohn Fabio). Vor allem entbehrt der Film jeder Handlungs- wie Psychologik. Was aus dem geplanten Abriss wird, bleibt ungeklärt, und warum der – wegen seiner Begegnung mit einer rätselhaften Inderin? – vom Glauben abgefallene Philosophieprofessor statt des Bücher-Autodafés nicht einfach seine Kündigung einreicht, ebenso.

Die Botschaft des Films ist immerhin von einer gewissen häretischen Qualität. Ermanno Olmi, der 2008 in Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt wurde, formuliert in »Hundert Nägel« – allerdings meist mit dem Holzhammer – eine Art Antitheologie, die mit faustischem Gestus jede Gelehrsamkeit verflucht und eine Religion der Liebe, mit Jesus als Menschen- und nicht Gottessohn, predigt: »Alle Bücher der Welt sind weniger wert als eine Tasse Kaffee mit einem Freund«, und sie enthalten »nicht so viel Wahrheit wie eine einzige Zärtlichkeit«, so sein Credo. Von seinem Gegenspieler, einem alten halbblinden (!) Monsignore, dessen einzige Freunde die Folianten sind, darob an das Jüngste Gericht gemahnt, höhnt der ausgestiegene Professorino: Vor diesem werde sich Gott selbst verantworten müssen – für all das Leid, das er auf der Welt zugelassen habe.

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