Kritik zu Gerdas Schweigen

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2008
Original-Titel: 
Gerdas Schweigen
Filmstart in Deutschland: 
06.11.2008
L: 
90 Min
FSK: 
6

Wie verarbeitet man es angemessen, Auschwitz überlebt zu haben? Gibt es die richtige Erinnerung oder das falsche Schweigen? Britta Wauer hat den Dokumentarfilm zu Knut Elstermanns Buch über »Gerdas Schweigen« gedreht

Bewertung: 4
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Mit »Wegen dieses Krieges«, dem ersten israelischen Dokumentarfilm, der das Schweigen um die in Israel lebenden Zeugen des Holocausts brach, lenkte die Filmemacherin Orna Ben-Dor Niv die Aufmerksamkeit nicht nur auf das Unverständnis, das nachgeborene Israelis den zerrütteten Überlebenden entgegenbringen. Erstmals sprach die Tochter Überlebender aus, wie das Trauma der Eltern auch die Kinder überwältigte, die oftmals von übergroßer Sorge erstickt wurden. Auch Gerda Schrage, geborene Rother, hat Auschwitz überlebt. Zwei Jahre nach dem Krieg ist sie nach Amerika ausgewandert, hat mit Sam Schrage einen polnischen Juden geheiratet, dessen Verwandtschaft ebenfalls ermordet wurde, einen Sohn bekommen und geschwiegen. Ihrem Mann und ihrem Sohn hat sie lediglich erzählt, dass sie in Auschwitz war.

Als Kind gehörte Gerda beinah zur Familie des 1960 geborenen Journalisten Knut Elstermann. Unter abenteuerlichen Umständen entkam Gerda dem Tod in Auschwitz, nicht aber das kleine Mädchen, das sie im KZ zur Welt gebracht hatte. Das Kind dürfe man vor Gerda nicht erwähnen, hat man Knut Elstermann als 8-Jährigem eingeschärft. Dieses Verdikt hat ihn nicht losgelassen. Er suchte die über 80-Jährige in New York auf und schrieb ein Buch über ihr Schicksal, das nicht nur der Frage nachging, warum Gerdas Baby in Auschwitz einen elenden Hungertod sterben musste. Neben der furchtbaren Erkenntnis vermittelt das Buch vor allem einen langwierigen und schmerzhaften Prozess. Britta Wauer hat mit ihrem nicht minder einfühlsamen Dokumentarfilm über »Gerdas Schweigen« Elstermanns zutiefst integere Reflexion über die Konsequenzen des Erzählens adaptiert. Zwar ist die alte Dame, die den Film mit ihrer Zurückhaltung prägt, erleichtert, ihr Geheimnis preisgegeben zu haben. Doch ihr Sohn ist verstört und gekränkt: Warum hat Gerda sich Knut und nicht ihm anvertraut? Warum hat sie ihrem mittlerweile verstorbenen Mann nicht sagen können, dass sie bereits ein Kind verloren hat? Der Film streift mit Hilfe von historischem Material und privaten Fotos durch die Zeiten, nähert sich Gerda in Gesprächen mit Knut Elstermann und seiner Familie als Mensch – und in den Archiven von Auschwitz als Zeitzeugin. Aus diesen Fragmenten entsteht ein widersprüchliches Bild, das die ebenso eitle Produktion von Verständnis umgeht. Es sei ja seltsam, sagt Knut Elstermann einmal, dass man Holocaust-Überlebende als »gläserne Menschen« betrachte, von denen jederzeit rückhaltlose Auskunft erwartet werde. Neben den unendlich berührenden Facetten von »Gerdas Schweigen«, neben der unangenehmen Wahrheit, dass mit dem Aussprechen des Leids nicht alles gut wird, ist es vor allem die Haltung des Buchautors und der Filmemacherin, die beeindruckt: Man dürfe auch nicht vergessen, so Elstermann, dass man als Medienmensch vom Ausgraben einer solchen Geschichte profitiere. Die Selbstbefragung des Journalisten gibt Gerdas später und erneuter Prüfung den Rückhalt der Liebe und der Professionalität. Eine gute Kombination, um sicherzustellen, dass im Leid der anderen zu stochern nicht nur das eigene Geschichtsbewusstsein dokumentiert.

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