Kritik zu Fräulein Julie

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Er liebt sie, er liebt sie nicht: In August Strindbergs Drei-Personen-Stück wogen die Gefühle kräftig hin und her. Liv Ullmanns Adaption allerdings lässt den Stoff da, wo er herkommt: im 19. Jahrhundert

Bewertung: 2
Leserbewertung
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2.3 (Stimmen: 3)

Der Anfang lässt hoffen. Da begleitet die Kamera die noch sehr junge Julie durch den Herrensitz ihres Vaters und erschließt sich peu à peu die prächtigen Säle, die verwinkelten Treppen, die geräumige Küche, schließlich den verwunschenen Garten samt Wäldchen und Bachlauf. Die Bilder sind lichtdurchflutet und voller Verheißung, und Julies Voice-Over verleiht ihnen epische Weite. Obwohl das hochherrschaftliche Anwesen in Irland steht, weckt es Assoziationen zum großbürgerlichen Charme des Settings von Ingmar Bergmans Fanny und Alexander – was in mindestens dreifacher Hinsicht stimmig erscheint. Erstens ereignen sich beide Geschichten am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zweitens spielt das zugrundeliegende Theaterstück von August Strindberg eigentlich in Schweden. Und drittens ist Liv Ullmann, hier bereits zum vierten Mal Regisseurin, enger mit Bergmans Kino verbunden als jede andere Schauspielerin.

Doch wer nun glaubt, Ullmann wolle sich mit ihrer Adaption vom Original lösen, der sieht sich bald enttäuscht. Ullmann hat offenbar keinerlei Veranlassung, ihren Strindberg zu verändern; nach der kurzen Exposition bewahrt sie mit bühnenhafter Strenge die Einheit von Raum und Zeit und zelebriert klassisches Theater aus einer anderen Zeit: Ein Kammerspiel ist ein Kammerspiel ist ein Kammerspiel.

Die Kammer ist in diesem Fall die Küche: Dort spielt sich der größte Teil des nicht enden wollenden Klassenkampfs zwischen Miss Julie (Jessica Chastain) und ihrem Diener John (Colin Farrell) ab. Sie, verwöhnt, flatterhaft, manipulativ, macht aus ihrer Bewunderung für den älteren, weltgewandten Angestellten keinen Hehl, demütigt ihn gleichwohl, indem sie die Rolle der aristokratischen Arbeitgeberin schamlos ausnutzt. Er, devot, wortgewandt, hitzig, kommt all ihren Wünschen nach – wie sich herausstellt, hat er schon lange ein Auge auf die schöne Julie geworfen und sieht nun seine Chance gekommen. Die Köchin Kathleen (Samantha Morton), mit der John liiert ist, schickt er auf ihr Zimmer, um sich ganz auf seine unberechenbare Chefin konzentrieren zu können.

Wie im Psychokrimi wogt das Geschehen während der immerhellen Mittsommernacht hin und her: Jeder der beiden Kontrahenten scheint ein doppeltes Spiel zu spielen, scheint mal kühl zu kalkulieren, mal leidenschaftlich entflammt zu sein, und es bleibt lange unklar, ob einer der Stärkere ist. Was anfangs noch einen gewissen morbiden Reiz entfaltet, entwickelt sich aber bald zu einem zähen, stark repetitiven Muster. Dabei drängt sich mehr und mehr die Frage auf, welche Relevanz dieser Geschlechterzwist fürs heutige Publikum noch hat. Der zentrale Konflikt jedenfalls – wie weit darf eine Frau gehen, ohne ihre Ehre zu verlieren? – ist allenfalls von historischem Interesse. Anders als etwa Roman Polanski, der unlängst in Venus im Pelz eine ähnliche Mann-Frau-Konstellation als packendes Vexierspiel über Rollenklischees und ihre Entlarvung anlegte, bleibt Ullmann trotz einiger Ambivalenzen erstaunlich bieder und eindimensional.

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