Kritik zu The Drover's Wife – Die Legende von Molly Johnson

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2021
Original-Titel: 
The Drover's Wife: The Legend of Molly Johnson
Filmstart in Deutschland: 
10.11.2022
L: 
109 Min
FSK: 
16

Leah Purcells Western erzählt von den Unterdrückten und Verlorenen der australischen Pioniergeschichte

Bewertung: 4
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»Ich werd' dich erschießen, wo du stehst, und verbuddeln, wo du fällst!«, sagt die hochschwangere Molly Johnson mit fester Stimme und dem Gewehr im Anschlag. Ihre angespannte Haltung und ihr lauernder Blick lassen keinen Zweifel daran, dass sie nicht droht, sondern ankündigt. Sie ist keine Frau, die beschützt werden muss, obwohl jeder durchreisende Fremde eine potenzielle Gefahr ist, für sie und ihre vier kleinen Kinder, während ihr Mann monatelang Schafherden durchs Land treibt. Jeder hat es darauf abgesehen, ihr etwas wegzunehmen, und dieses Wissen hat sie hart und unversöhnlich gemacht.

Auf der Grundlage einer bekannten Kurzgeschichte, in der der weiße Australier Henry Lawson 1892 am Beispiel einer Frau und Mutter von der Zähigkeit und Entschlossenheit der weißen Pioniere erzählte, deutet die Autorin und Filmemacherin Leah Purcell die Mythen des klassischen Westerns um. Sie verrückt die Perspektive zugunsten derer, die bisher marginalisiert, gejagt, ausgebeutet, missbraucht und ermordet wurden. Zum Kampf gegen die ungezähmte Natur, gegen harsche Witterung und wilde Tiere kommt für die Australierin mit Aborigine-Wurzeln der gegen Rassismus und Diskriminierung, in einer Welt, in der Ureinwohner und Frauen durch kein Gesetz geschützt wurden. Es gibt nur wenige Beispiele im Westerngenre, in denen jemand sich in die Bresche wirft für geschundene Frauen, so wie Clint Eastwood als Bill Munny in »Unforgiven«. »The Drover's Wife – Die Legende von Molly Johnson« fügt den archaisch rauen Western aus dem deutlich später kolonialisierten Australien (man denke an »The Proposition« von John Hillcoat) eine weibliche Perspektive hinzu. Der Loner, der nicht mit Worten, sondern mit zurückhaltender Mimik und Taten spricht, ist hier eine Frau.

Als Autorin des gleichnamigen Romans und eines Theaterstücks gibt Leah Purcell der namenlosen Frau des Viehtreibers einen Namen und als Regisseurin und Schauspielerin im Film ihr eigenes Gesicht. Sie injiziert der Geschichte ein Bewusstsein für die verborgene Seite der Pionierwestern, für die Vertreibung, Entrechtung und Ermordung der Ureinwohner. In der Welt, in der sich Molly Johnson bewegt, in der kargen Schönheit der Snowy Mountains im australischen New South Wales, sind Männer keine coolen Helden, sondern ungehobelte, verlotterte Lumpen, die sich im Jahr 1893 noch nicht weit von den Höhlen der Neandertaler entfernt haben. Einzige Ausnahmen sind der neue Sheriff Nate Clintoff (Sam Reid), dessen junge Frau Louisa sich für die Emanzipation engagiert und die Not der Ehefrauen mit ihren gewalttätigen Männern anprangert, und der Aborigine Yadaka (Rob Collins), ein geflohener Sträfling, der eines Tages in schweren Eisenketten um Hals und Gelenke an Mollys Hütte im Nirgendwo auftaucht. So feindselig sie auch ihm zunächst begegnet, zeichnet sich doch bald zwischen den beiden eine Nähe ab, die nicht romantisch ist, und an Geheimnisse rührt, die Molly Johnson unter ihrem wehrhaften Panzer verbirgt, auch weil sie ihre Existenz bedrohen.

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