Kritik zu Die Magnetischen

© Port au Prince

In seinem pulsierenden Debüt fängt Vincent Maël Cardona die Stimmung der frühen Achtziger ein

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Wohl jede Jugendgeneration ist von Sehnsüchten und Aufbruchsstimmung erfüllt, von Rebellion und Orientierungslosigkeit, Schmerz und lustvoller Ekstase. Für die frühen 80er gilt das allemal. Massenarbeitslosigkeit prägte das Leben in vielen Ländern Europas, verbunden mit Hoffnungslosigkeit. Das spiegelte sich in der Musik wider. Während sich die Punkrocker die Wut noch aus den Leibern geschrieben hatten, wurden Post-Punk und New Wave nun zum Soundtrack der Krise, von Zukunftsängsten und Depression. Politisch herrschte in vielen Ländern Aufbruchsstimmung. Der französische Schauspieler und Regisseur Vincent Maël Cardona hat mit seinem Debüt »Die Magnetischen« einen rauschhaften Film geschaffen, der mit seinem Soundtrack von Joy Division, Iggy Pop und The Undertones die pulsierende Stimmung der Zeit zugleich betörend und bedrückend einfängt.

Philippe (Thimotée Robart) lebt mit seinem Vater und seinem charismatischen älteren Bruder Jerôme (Joseph Olivennes) in der französischen Provinz. Ihr Geld verdienen die Brüder eher lustlos in der Autowerkstatt des Vaters, in ihrer Freizeit betreiben sie den Piratensender »Radio Warschau«. Jerôme ist der rebellische, extrovertierte Moderator, der schüchterne, stille Philippe der Mann am Regler, eine Rolle, die ihm behagt. Dort experimentiert er mit Geräuschen, Musik, Beats, probiert sich mit sphärischen Klängen aus. Er lässt seine Musik in Endlosschleifen laufen, so wie er selbst in immer gleichen Schleifen, inneren wie äußeren Zwängen gefangen ist.

Das ändert sich auch nicht, als die jungen Marianne (Marie Colomb) mit ihrer kleinen Tochter aus Paris in das Kaff kommt, um dort eine Ausbildung als Friseurin zu machen. Beide Brüder verlieben sich in sie. Jerôme macht erwartungsgemäß das Rennen, wenngleich sich schnell ein zartes Band zwischen ihr und Philippe entwickelt. Zwischenzeitlich wird Philippe zum Militär eingezogen und nach West-Berlin versetzt, damals ein Hotspot der experimentellen Musik. In einer der elektrisierendsten Szenen gesteht Philippe über den Militärsender BFBS Marianne mit einer rauschhaften DJ-Performance seine Liebe. Die Musik wird zu seiner Sprache.

Vincent Maël Cardona ist 1980 geboren, hat diese Zeit also nicht aktiv erlebt. Das ist kein Hindernis, es könnte aber seinen romantischen Blick auf diese Epoche und die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung der Zeit erklären. Vielleicht gerade deswegen gelingt es ihm, diesen unglaublichen Sog zu erzeugen, eine Atmosphäre, die sich aus der Musik speist und zu der die grandiose Ausstattung und die grobkörnigen Bilder beitragen. Cardonas Film ist Coming-of-Age-Geschichte mit schwieriger Vater-Sohn-Bruder-Konstellation, die Amour fou eines jungen, unsicheren Erwachsenen und eine Art Zeitdokument, das das Lebensgefühl einer besonderen Epoche abbildet. »Die Magnetischen«, der den César als Bester Debütfilm gewann, ist hinreißend und traurig – und unbedingt in der Dunkelheit eines Kinos zu sehen.

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