Kritik zu Akte X: Der Film

Trailer englisch © 20th Century Fox

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Nordtexas, 35.000 vor Christus. Die Leinwand ist weiß. Langsam zeichnen sich im Schneegestöber die Konturen zweier Steinzeitmenschen ab, die bald darauf in einer Gletscherhöhle von einem fremdartigen Wesen angegriffen werden. Der extraterrestrische Eindringling unterliegt, so scheint es. Bis sich dessen seltsam schwarzes Blut in Bewegung setzt, aufteilt und die Epidermis des Frühmenschen durchwandert. Schnitt. Ein Sprung in die Gegenwart. Beim Spielen fällt ein Junge in die gleiche Höhle. Unter seinen Schuhsohlen bahnt sich die wohlbekannte Flüssigkeit ihren Weg an die Oberfläche. Wieder gleiten unzählige liquide Schmarotzer durch den Körper und verdunkeln schließlich die Iris im Auge des Jungen.

Schon diese Vorgeschichte zu Akte X: Der Film macht neugierig. Neugierig darauf, ob es Regisseur Rob Bowman und Autor Chris Carter (beide haben maßgeblich an der TV-Serie mitgearbeitet) vermocht haben, den Kultcharakter der Serie auf einen zweistündigen Kinofilm zu übertragen. Welche Gefahren auftauchen können, wenn man eine erfolgreiche TV-Reihe ins Kino bringen möchte, zeigte Twin Peaks - Der Film. Dem Spiel mit dem Zitatenschatz der Serie ausgeliefert, bleibt dem uneingeweihten Zuschauer nur die Chance, den Film ohne das Geflecht aus Anspielungen werkimmanent zu sehen. Was das Vergnügen erheblich reduziert. Bowman und Carter vermeiden indes die Zweiteilung des Publikums in Insider und Unkundige. Sie präsentieren eine spannende, aufwendig inszenierte Geschichte, die Fans und Neueinsteiger gleichermaßen anspricht.

Während die Unglücksstätte aus dem Prolog schnell mit einem mobilen Labor erforscht wird, müssen die Spezialagenten des FBI, Dana Scully (Gilian Anderson) und Fox Mulder (David Duchovny, bekannt aus Dominic Senas Kalifornia), konkreter ran. Zufällig entdeckt der smarte Ermittler eine in einem Gebäude versteckte Bombe, kann die Detonation aber nicht mehr verhindern. Ein scheinbar ganz realer Schrecken. Die Hinweise und Rätsel eines kryptischen Dr. Kurtzweil (Martin Landau), für dessen Figur Donald Sutherland in JFK Modell stand, werfen jedoch ein anderes Licht auf die greifbaren Explosionsreste. Die aus den Trümmern geborgenen Toten seien ein Junge und einige selbstlose Feuerwehrleute, die in der texanischen Wüste ebenfalls zu Opfern einer unbekannten Art wurden. Wie in der Serie mißtrauen Fox und Mulder allem und jedem und beginnen darauf mit eigenmächtigen Recherchen.

Akte X: Der Film spinnt das erfolgreiche Strickmuster der Serie weiter. Filmische Realität und Fiktion vermischen sich, ohne dem Zuschauer klare Abgrenzungen vorzugeben. Gleichzeitig ermöglicht X-Files-Schöpfer Chris Carter seinen Protagonisten auch nach mehreren Staffeln noch charakterliche Veränderungen. So wird nach der latent sexuellen Spannung in der Serie sogar ein sich Näherkommen der special agents nicht ausgeschlossen. Das klare Trennungsmuster, einerseits die strikt ihrer Ratio folgende Pathologin und andererseits der intuitive Investigator, wird teilweise aufgehoben.

Ein verschwörerisches Syndikat bemüht sich, die rasch fortschreitende Ermittlung der beiden zu beenden. Kurtzweil wird ermordet und Scully nach zunächst erfolgreicher Flucht vor Myriaden Bienen am Ende doch von einem der Insekten gestochen. Da die kleinen Tierchen mit Enzymen der von der Wissenschaft längst entdeckten außerirdischen Lebensform genmanipuliert wurden, wird die Medizinerin nun selbst zum Versuchsobjekt suspekter Forscher.

"Die Wahrheit ist irgendwo da draußen", lautet das Motto von Akte X. Ein Grund für den Zuschauerzuspruch, sowohl im Fernsehen als auch im Kino, findet sich jedoch ganz tief im Innenleben der Menschen. Die aufbereiteten parapsychologischen Phänomene spiegeln Urängste wider. Nicht zufällig thematisieren viele Filme der neunziger Jahre Invasionen, Verschwörungstheorien (Conspiracy Theory) und eine drohende Apokalypse (Deep Impact, Armageddon). Kurz vor der Jahrtausendwende steht die Menschheit vor einem Zeitalter, das Unbekanntes und Gefahren birgt. Die Städte sind ein einziger Moloch, dunkel und verregnet. Und auch in Akte X: Der Film dominieren wenig erhellte Schauplätze. Als krasser Gegenpol dazu erscheinen die Tagesaufnahmen, die, wie die Schlußszene in David Finchers Seven, von einem grellen Goldbraun dominiert werden.

Die zwar pompösen, aber sparsam eingesetzten Spezialeffekte drücken die Charaktere nicht an die Wand: Anderson und Duchovny transportieren die Stärken und Schwächen ihrer Figuren angemessen auf die Leinwand. Landau wahrt als mystery man auch in seinen kurzen Auftritten eine faszinierende Aura, während Armin Mueller-Stahl als einer der Verschwörer mehr Akzente mit seiner Sprache denn mit seiner Schauspielkunst setzt.

Häufige und schnelle Wechsel zwischen mehreren Handlungsorten suggerieren trotz längerer Szenen, in denen der Film seine Dramaturgie aus der Koppelung einer klaustrophobischen und geheimnisvollen Atmosphäre mit dem gezielten Einsatz von Musik bezieht, eine ungeheure Dynamik.

Akte X: Der Film endet mit einem Highlight. Verraten sei jedoch nur, daß vergleichbar bedrohliche Bauten höchstens in den Alien-Filmen, Blade Runner und Independence Day zu sehen waren. Auf Emmerichs Massenspektakel bezieht sich Rob Bowmans Film an einer Stelle ganz explizit. In einer düsteren Gasse uriniert Mulder ungeniert an ein Werbeplakat des erfolgreichen Filmes. Von solcher Blasphemie gegenüber Hollywood wünschte man sich mehr. Da die X-Files in der letzten Szene jedoch wieder geöffnet werden, läßt der Regisseur diese Möglichkeit offen.

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