Retrospektive: »Verriegelte Zeit«

»Verriegelte Zeit« (1991). Quelle: Deutsche Kinemathek, © DEFA-Stiftung / Michael Löwenberg

Claus Löser hat in seinem Text in der Berliner Zeitung einen der Schwachpunkte der diesjährigen Retro dargelegt – die ja in der Unschärfe des Themas »Selbstbestimmt« liegen: Gerade in der DDR kann von Selbstbestimmung nicht die Rede sein. Die Filme der DEFA, die in diesem Rahmen gezeigt wurden, handeln ja nicht von Selbstbehauptungen der Protagonistinnen und insbesondere nicht von der Selbstbestimmung der Regisseurinnen; die Repressalien gegen die Filme ob ihrer leisen Kritik reichen von Zurückziehung des Films nach wenigen Tagen – im Fall von »Das Fahrrad« – bis zu Totalverbot inklusive angestrebter Vernichtung des Films – im Fall von »Die Taube auf dem Dach«.

Sibylle Schönemann durfte gar nicht erst anfangen mit dem "richtigen" Filmemachen. Sie war bei der DEFA, wollte ihre Karriere beginnen, und stieß auf Widerstände bei all ihren Ideen – Bio- wie Filmographie finden sich im Bertz+Fischer-Band »Sie. Regisseurinnen der DEFA«, gerade zur Berlinale rausgekommen. Zusammen mit ihrem Mann stellte sie einen Ausreiseantrag. Und morgens um sechs war die Stasi da. Untersuchungshaft, Verhöre, Urteil, Gefängnis. Ihr Vergehen: Paragraf 2014, »Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit«. Dann freigekauft von der BRD. Traum vom eigenständigen Filmemachen: futsch.

Schönemann hat aber doch einen Film gedreht. Einen wichtigen: »Verriegelte Zeit«. Für die DEFA – allerdings fürs Studio für Dokumentarfilme, nicht für die Spielfilmabteilung. Und nach der Wende, im Jahr 1990. Da reiste sie nämlich zurück, verfolgte ihren Weg nach: Besucht ihr altes Gefängnis, jetzt geräumt, in Hohenleuben, Thüringen. Eine Nachbarin konnte vom Kirschbaum aus neugierig in den Gefängnishof gucken – der Kirschbaum war für Schönemann hinter Gittern so etwas wie ein Hoffnungszeichen. Im Stasi-Untersuchungsgefängnis redet sie, in ihrer damaligen Zelle, mit ihrer damaligen Haftgenossin. Der damalige Haftrichter ist sauer, als sie mit der Kamera auf ihn zukommt. Der damalige Verhörbeamte verabredet einen Interviewtermin, verweigert sich aber. Der damalige DEFA-Generaldirektor beruft sich auf gesundheitliche Probleme.

Aber sie kann trotzdem einige der damaligen Beamtentäter interviewen. Die »Erzieherin« in Hohenleuben hat nur das beste Andenken an die Zeit vor fünf Jahren, und sie betont immer wieder nostalgisch, wie wertvoll doch die Gespräche mit den Gefangenen waren, hat aber im Detail Erinnerungslücken. Ihr damaliger Richter versteht die Situation, kann aber auch nichts machen, das Gesetz damals war halt so. Und schließlich der Stasi-Mann, beauftragt für den DEFA-Komplex, der sehr konziliant ist, aber von nichts weiß und nichts wissen will. Dem nämlich klar ist, dass Sibylle Schönemann ihm gar nichts kann, weil sie keine Akte hat. Tatsächlich waren die Stasiakten 1990 noch Verschlusssache – und im Nachgespräch zum Film meinte die Regisseurin, dass ihr Film, damals im Rohschnitt vorgeführt, möglicherweise tatsächlich die Diskussion um Vernichtung oder Wegschließen der Stasiakten in Richtung Öffnung mitentschieden haben könnte.

Ohne Larmoyanz, ohne Wut, dafür mit großer Neugier geht Schönemann ihrer eigenen Vergangenheit nach. Ihre Gesprächspartner berufen sich aufs Gesetz, auf Partei und Regierung, auf abstrakte Größen, unter denen sie nicht anders hätten handeln können: Schönemann bricht das runter auf die persönliche, ganz konkrete Ebene. Und damit hat gerade dieser Film, der von der Ohnmacht handelt, von Staatsmarionetten, von der Wehrlosigkeit von Filmemacherinnen (oder Bürger*innen überhaupt) in der DDR: Damit ist dieser Film ein Dokument souveräner nachträglicher Selbstermächtigung.

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