Merkwürdige Modiverschiebungen

»Tigmi n Igren« (2017). © Tala Hadid

Während die Kollegen und Kolleginnen in den Tageszeitungs-Redaktionen kurz vor der Preisverleihung immer hektischer arbeiten, entschleunigt sich mein Zeitrhythmus von Tag zu Tag. Ich werde aber auch immer langsamer. Gestern neben diesem Bloggen gerade mal meine persönlichen Topps und Flopps (glaube, ich darf sie hier schon verraten, aus Paritätsgründen beide aus dem Forum, Topp: »Tigmi n Igren« (House in the Fields), Flopp: »Cuatreros«) an den Tagesspiegel geschafft, dort morgen dann auch mit kurzem Begründungstext.

Also wohl wirklich alle Pflichten erledigt, dafür aber auch vom vielen Sitzen so steif, dass ich morgens kaum noch in meine Hosen komme. Ja, Yoga! Hochachtung also vor einem Kollegen wie Heinz Kersten (traf ihn gestern sehr munter), der längst weit jenseits des Rentenalters ist und mir erzählte, dass er jetzt die Zahl der besuchten Filmfestivals (früher waren es sicher zwei Dutzend pro Jahr) »etwas reduziert« hat.  Mitleid mit den Redakteuren, die sich gezwungenermaßen den ganzen Wettbewerb reinziehen müssen, aber nicht nur wegen den körperlichen und mentalen Strapazen der Dauer-Sichtungen. Ich fände es auch extrem bedrohlich, mich ohne Fluchtmöglichkeiten den ganzen Gewalt- und Emotionsexzessen, Familienclinchs, Kitschanfällen und Körperlichkeiten aussetzen zu müssen, kann ja schon einen ausführlichen schmatzenden Kinokuss kaum ertragen. Schon klar, warum ich meiner Dokumentarfilm-Nische gelandet bin, die ja zunehmend weniger nischig wird und seit diesem Jahr sogar einen eigenen Preis hat.

Gleich noch zwei Filme auf dem Programm, darunter den mir von mehreren Seiten angepriesenen »Honeygiver Among the Dogs« (R: Dechen Roder) aus Bhutan, leider im Cubix, einem ziemlich unerträglichen Kino. Schade, dass ich es mal wieder weder in den Zoopalast noch ins International geschafft habe, meine beiden Lieblingskinos. Aber kennt die hier überhaupt jemand? Immer wieder frage ich mich, wer überhaupt diesen Blog liest. Sind es Leute, die auch auf der Berlinale rumschwirren? Oder eher die, die zu Hause in Königswinter vom roten Teppich träumen? Und, viel grundsätzlicher, ob das überhaupt jemand liest außer ein paar Freunden und Bekannte, die es nett mit einem meinen?

Ob es wohl Tools gibt, das herauszufinden? Ich habe gestern nacht jedenfalls erst einmal ausgiebig das Weltgeschehen nachgearbeitet und mich dabei am heftigsten über Schäuble echauffiert, der nach außen (Griechenlands Gürtel noch enger) wie nach innen (schwarze Null) kräftig an der Förderung rechter Tendenzen arbeitet, aus mysteriösen Gründen aber recht weit oben auf den meisten Beliebtheitsskalen steht.

Gerade kam die Liste mit den Preisen der sogenannten Unabhängigen Jurys. Ein irreführender Name, denn viele von denen (nicht alle) sind mit ihren konkreten thematischen Vorgaben natürlich viel abhängiger als die Berlinale Jury selbst. Doof auch, dass es bis jetzt keine Überblicksliste gibt, sondern nur die Webseite, auf der man jede Jury extra anklicken muss. Habe aber schon gesehen, dass der Forums-Preis der Ökumenischen Jurys an »Maman Colonelle« ging, was mich sehr freut. Und dass der Friedensfilmpreis offensichtlich gar nicht vergeben wurde. Warum bloß? Soll das eventuell ein politisches Statement sein? Mal sehen, ob es dazu irgendwo eine Presseerklärung oder Information gibt.

PS: Nach einiger Recherche habe ich den Preisträger des Friedensfilmpreises nun herausfinden können: Der 32. Friedensfilmpreis bei der Berlinale geht an »El Pacto de Adriana« (Adrianas Pact) von Lissette Orozco (Chile 2017, Dokumentarfilm). Der Preis wurde am 19.2. übergeben. Hier findet ihr die Pressemitteilung.

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