Nobody's fool

Wenn wir epd-Film-Autoren im Dezember nach unserer Lieblingsserie des zu Ende gehenden Jahres gefragt werden, muss ich regelmäßig passen. Anscheinend bin ich gegen den Serien-Hype immun. Ich bewundere natürlich die Kolleginnen und Kollegen, die immer den letzten und allerletzten Schrei kennen. Woher nehmen die nur die Zeit für all die Staffeln, die unbedingt gesehen werden wollen?

2023 jedoch hätte ich mich eventuell beteiligen können. Wir dürfen nämlich auch die jüngsten Staffeln älterer Serien nennen. Aber da könnte ich mich womöglich auch schon gleich wieder disqualifizieren, denn von »Harten Brocken« sendet das ZDF in der Regel nur eine Folge pro Jahr. »Der Goldrausch«, der im November lief, hatte es in sich, den musste ich am nächsten Tag in der Mediathek noch einmal wiederholen. Frank Koops, der Dorfpolizist aus St. Andreasberg im Harz (Aljoscha Stadelmann), hatte noch keine Gegenspielerin, die so abgefeimt ist wie Inka Sassner (Lina Wendel). Kein Wunder, schließlich ist sie mit allen Wassern der Stasi gewaschen. Rache ist im Spiel, ebenso wie Gier. Um zu erreichen, was sie will, geht sie über eine Menge Leichen. Das ist für sich genommen noch nicht ungewöhnlich, denn alljährlich verschlägt es die hartgesottensten Verbrecher in den kleinen, abgelegenen Flecken unweit von Braunlage. Und meist entwickeln sie auch enormen Einfallsreichtum. Aber wer konnte es in Sachen Kaltblütigkeit und Raffinement bislang je mit der ehemaligen Stasi-Offizierin aufnehmen? Nun ja, abgesehen von Frank Koops?

Gleichviel, ob meine Wahl nun die Regularien der Redaktion erfüllt hätte – der „Harte Brocken“ ist mir ohnehin zu spät eingefallen. Das muss vielleicht keine große Schande sein, denn wie sagt die Philosophin Maria Joseph (Sibylle Canonica) in der Episode »Der Geheimcode« (Jahrgang 2019) verständnisvoll zu Koops: "Wer langsam denkt, denkt tief." Da sind wir schon beim Clou der Serie angelangt. Koops ist einer, den seine Widersacher stets unterschätzen. Was hätten sie schon zu befürchten von dem übergewichtigen Mann mit grauem Haarschopf und ebensolchem Bart, der tagaus, tagein nichts anderes zu tun zu haben scheint, als auf Bagatellfälle zu warten und derweil Figuren aus Speckstein zu schnitzen? Aber er überrascht zuverlässig immer wieder. Er verfügt über ungeahnten Ressourcen des Wissens und der Geistesgegenwart. Dass er ein unbekannteres Seestück von William Turner mit korrektem Titel identifizieren kann, mag in »Die Fälscherin« (2020) vielleicht ein wenig hoch gegriffen wirken. Aber es wundert einen dann auch wieder nicht. "Wir im Harz haben wirklich viel Zeit," erklärt Koops der Titelfigur, als sie wissen will, ob er sich für Kunst interessiert. Ihr ist die kalabrische Mafia auf den Fersen, aber auch die erschüttert Koops' Seelenruhe nicht. So ist es in jeder Folge. Die große Welt kommt aus irgendeinem finsteren Grund in den beschaulichen Ort, wo ihr dann Hören und Sehen vergeht. Was hat überhaupt ein echter und ein gefälschter Turner dort verloren? Das fragt man sich bald nicht mehr, denn alles geschieht mit größter Selbstverständlichkeit. Koops wundert gar nichts. Er hat erst mal Geduld und wehrt sich dann gewitzt gegen waffenstarrende Invasoren. "Ich kann nicht jedes Mal einen Spezialisten anfordern", sagt er in einer Folge, "deshalb muss ich mich mit allem ein bisschen auskennen." Koops sitzt in seiner Wache oft am PC. Das ist nie vergeudete Zeit. Alles in allem ist die Serie ein Wunder der Weltteilhabe.

Ihm macht keiner was vor. Diese Gabe beeindruckte mich schon, als ich im März 2015 eher zufällig in den Pilotfilm geriet. Da taucht eine vermeintliche LKA-Beamtin (Julia Koschitz) auf, die ihm bei einem aktuellen Fall helfen will. Die Frau aus der großen Stadt, die damit prahlt, am Abend gleich zwei Rendezvous zu haben, umgarnt ihn bald. Es kommt sogar zu einer Liebesnacht, die Koops Argwohn endgültig weckt. Er macht sich wenig Illusionen über seinen Sex-Appeal. Von da an liest er in ihr wie in einem Buch. Einer wie er hat stets schlaue Hintergedanken, aber Serienerfinder Holger Karsten Schmidt ist so klug, das Publikum nicht sofort in sie einzuweihen.

Die Frauenfiguren, denen er im Lauf seiner Ermittlungen begegnet, sind überhaupt das Beste an der Serie. Nicht selten sind sie ein Stück älter als er. Da entstehen schillernde Konjunktionen, die nicht unbedingt erotisch gedacht sein müssen (aber können), um vielschichtig zu sein. Besonders mag ich seine Beziehung zu der sterbenskranken Philosophin Canonica, in die Koops eine lakonische Zartheit legt. Es hilft natürlich, dass beide mit Selbstironie gesegnet sind (sie sagt über ihren Namen: der Scherz eines atheistischen Vaters); als wandelnde Enzyklopädie kann er auch abstrakteren Denkbewegungen folgen. Ich habe Sie gern bei mir, sagt er - nicht allein aus Schutzinstinkt. Er genießt die intellektuellen Herausforderungen, die sich ihm mit jedem Fall stellen. Oft geht es aber auch ganz rabiat zu, mit Schießereien, die einen hohen Blutzoll fordern. Smartere Betrachter würden das wohl tarantinoesk nennen, aber ich bin schon froh, dass die Dinge Koops nie über den Kopf wachsen. Inka Sassner jedoch ist noch einmal ein besonderes Kaliber. Sie und Koops spielen Katz und Maus. Wunderbar ist das Halmaspiel in der Dorfkneipe, wo ständig die Biergläser vertauscht werden, denn in eines hat sie K.o.-Tropfen geschüttet. Warum findet das deutsche Fernsehen nicht mehr Verwendung für eine so großartige Schauspielerin wie Lina Wendel? Im letzten Drittel schlägt »Der Goldrausch« vielleicht ein paar Volten zu viel. Aber Koops behält einen kühlen Kopf. Der veredelt jedes Drehbuch.

»Harter Brocken« ist ein willkommenes Gegengift zum Bild der Provinz, das »Mord mit Aussicht« zeichnet. Die Serie lebt vom ergötzlichen Fisch-auf-dem-Trockenen-Prinzip: Die gewiefte Polizistin aus Köln trifft in der Eifel auf lauter engstirnige, putzige Hinterwäldler. Aber Holger Karsten Schmidt dreht den Spieß um. Inzwischen schreiben andere Autoren die Serie weiter, aber in seinem Geist. Zugegeben, Koops bester Freund, der Postbote Heiner, ist nicht übermäßig helle. Aber er ist stets zur Stelle, wenn er gebraucht wird, und auch er zeigt unerwartete Ressourcen. Das gilt ebenso für Mette, die aufgeweckte Polizistin aus Braunlage, auf die Koops immer zählen kann. Die Regisseure und Kameraleute haben überdies einen schönen Blick für die vertikale Topographie des Ortes, für die verschiedenen Ebenen des Städtchens, für die Dachfirste, die in die Höhe gestaffelt sind. In diesem St. Andreasberg ist man gern zu Besuch, einmal im Jahr am Samstagabend. In guter Gesellschaft befindet man sich allemal.

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