Ihr schönster Tag

Heute vor 60 Jahren fand der große Marsch auf Washington statt, der in Martin Luther Kings "I have a dream"-Rede gipfelte. Die Kundgebung wurde per Satellit weltweit im Fernsehen übertragen; bis zum Mittag war die Zahl der Demonstranten auf eine Viertelmillion angestiegen. An dieser Sternstunde der Bürgerrechtsbewegung nahmen zahlreiche Berühmtheiten aus dem Showgeschäft teil. .

Auf einem berühmten Foto, das vor dem Lincoln Memorial aufgenommen wurde, sind Harry Belafonte, Charlton Heston und Sidney Poitier zu sehen. Zu den Musikern, die das Rahmenprogramm gestalteten, gehörten Joan Baez, Bob Dylan und Mahalia Jackson. Auch Josephine Baker trat auf, jedoch nicht als Sängerin und Tänzerin, sondern richtete sich mit einer Ansprache ans Publikum. In der Ausstellung, die die Kunsthalle Bonn der Künstlerin gerade widmet, sind Auszüge daraus zu lesen. Sie sprach über den weiten Weg, den sie selbst zurückgelegt hatte (und meinte damit nicht nur den eigenen) und den, der der Bürgerrechtsbewegung noch bevorstand. Sie bezeichnete sich als eine nicht mehr junge Frau, deren inneres Feuer fast erloschen sei und forderte die nächste Generation auf, es neu zu entzünden. Ein Foto im Katalog straft ihre Worte Lügen: Es zeigt sie auf der Mall in Washington mit jugendlichen Zügen und einem strahlenden Lächeln. Später sagte sie, den 28. August 1963 sei der glücklichste Tag ihres Lebens gewesen.

An ihm durfte sie eine Summe ihres Lebens ziehen - oder doch eher eine Zwischenbilanz, wie ihre glänzende Erscheinung in Aussicht stellt. Es kamen viele lebensgeschichtliche Fäden zusammen an diesem Tag, die sich in der farbigen Abbildung verdichten. Baker trat als ein Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung auf – King hatte sie persönlich zum Marsch eingeladen -, trug jedoch eine französische Militäruniform. Auf Brusthöhe waren die fünf Orden angeheftet, mit denen sie für ihre Verdienste während des Zweiten Weltkriegs ausgezeichnet worden war. Ihre zweite Heimat war der in St. Louis geborenen Künstlerin zu großem Dank verpflichtet. Sie hatte bei der Truppenbetreuung in den französische Kolonien in Nordfafrika mitgewirkt und für die Résistance Geheimnachrichten geschmuggelt (mit unsichtbarer Tinte auf ihre Notenblättern geschrieben – wie in einem waschechten Spionagefilm!) Nach der Befreiung trat sie vor US-Truppen auf und bestand darauf, dass im Publikum schwarze und weiße GIs nicht voneinander getrennt wurden.

Unterhaltung und Widerstand auf drei Kontinenten: das ist die eine stolze Schlussrechnung, die nicht ohne Widersprüche aufgeht. Die Ausstellung "Josephine Baker – Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit", die noch bis zum 24. September läuft, kann daraus Honig saugen. Als 19jährige kommt Baker nach Paris, wo sie Rassismus und Segregation in ihrer Heimat entfliehen kann und augenblicklich als barbusige Tänzerin in der "Revue nègre" zu einer Sensation wird. Ihr zweites Markenzeichen, der Lendenschurz aus Bananen, kommt in der nächsten Show hinzu. Ein Blickfang im ersten Ausstellungssaal ist ein großformatiges Foto, dass die clowneske Erotik ihrer frühen Auftritte einfängt. Die halbnackte "Schwarze Venus" kann ihre Augen so ulkig rollen, dass sie schielt. Im Entree der Schau tritt zugleich eine redliche Didaktik auf den Plan. Auf einer Wand werden eine Reihe afro-amerikanischer Künstlerinnen kurz porträtiert, die im liberalen Paris nach dem Ersten Weltkrieg ungekannte Entfaltungsmöglichkeiten finden. Damit ist ein bemerkenswerter Kontext geschaffen.

Baker genießt die kontinentale Freiheit in vollen Zügen, aber sie existiert um den Preis des Exotismus'. Die quirlige Entertainerin begeistert ein Massenpublikum und inspiriert bildende Künstler (Klee, Matisse, Calder). Komponisten (Milhaud), Modeschöpfer (Poiret, Patou) und Schriftsteller (Cocteau erblickt in ihr ein Amalgam aus "Stahl und Bronze, Ironie und Gold"); Adolf Loos entwirft ein Haus, das ihr auf den Leib geschneidert ist, aber doch nicht gebaut wird. Baker wird zu einer expatriierten Ikone des Jazz Age. Bei Grenzübertritten muss sie nicht ihren Pass vorzeigen, sondern wird um Autogramme gebeten. In Berlin und Wien wiederholt sie ihre Erfolge, spürt indes dort bald auch rassistischen Gegenwind.

Ihr Impresario und Lebensgefährte Pepito Abatino hat derweil viele Idee, wie sich Bakers Ruhm vermarkten lässt: Mit ihrem Image lassen sich Kosmetik, Pomade, Körperlotionen und Puppen verkaufen. Ein Nachtclub wird in ihrem Namen eröffnet, das Kino interessiert sich für sie. In »Zouzou« bilden sie und Jean Gabin 1934 ein schmuckes Paar (was man im Filmausschnitt nicht sieht), im selben Jahr avanciert sie zur bestbezahlten schwarzen Entertainerin weltweit. Sie durchlebt Höhen und Tiefen. Ende der 1950er Jahre muss das Schloss versteigert werden, auf dem sie mit ihrem Ehemann vierten Ehemann und einer Regenbogenfamilie von 12 adoptierten Kindern lebt; Brigitte Bardot ruft im Fernsehen zu Spenden auf. Bakers Bühnenkarriere währt ein halbes Jahrhundert, zwei Tage nach ihrem gefeierten Comeback im Pariser „Bobino“ stirbt sie 1975.

Die Bonner Schau schreitet im Eiltempo durch diese erstaunliche Lebensgeschichte im Eiltempo. Sie vergeudet viel Platz für Bakers prominente Epigoninnen (Diana Ross, Grace Jones, Naomi Campbell). Die Sorge der Kuratorinnen Mona Horncastle, einer ausgewiesenen Biographin und Katharina Chrubasik, sie für aktuelle Sichtweisen aufzubereiten, ist groß. Baker soll vieles repräsentieren. Der Versuch, sie als Heroldin einer queeren Kultur zu vereinnahmen, wirkt angestrengt. Dabei muss sie gar nicht entstaubt werden: Ihre kreative Energie und Strahlkraft springen über ins Jetzt.

Nirgendwo in der Schau ist etwas zu erfahren über ihre künstlerische Herkunft: Wie wurde ihr Talent entdeckt, wie entwickelte es sich bis zu ihrem Durchbruch in Paris? Einige wenige der klaffenden Lücken vermag der Katalog zu schließen - den Essays über die Ikonografie Bakers und die zeitgenössische Choreographie gelingt eine gewisse Vertiefung. Aber weiterführende, auch grundlegende Informationen muss man anderswo suchen (die Literatur über Josephine Baker ist umfangreich - aber es sollte endlich mal ein Verlag auf die Idee kommen, die mitreißende Graphic Novel von Catel & Bocquet zu übersetzen). Gewiss, in Bonn läuft die Dokumentation, die für arte entstand, nachdem ihr Sarg ins Pantheon umgebettet wurde, aber das ist mitnichten eine kuratorische Leistung. Die Ausstellung erzählt die Geschichte einer Selbstermächtigung, betrachtet die Künstlerin jedoch letztlich vor allem als eine Projektionsfläche.

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