Erkennungsdienstlich

Bradley Coopers »Maestro«, der in wenigen Tage auf dem Lido seine Premiere feiern wird, kommt womöglich ein paar Jahrzehnte zu spät. Zu Beginn dieses Jahrtausends, als eine mächtige Welle von Biopics in den Kinos anbrandete, wurde von Darstellern und Darstellerinnen selbstverständlich erwartet, dass ihr Aussehen und Gebaren täuschende Ähnlichkeit mit ihren realen Vorbildern hatte.

Deren Klonen musste sie nicht werden, aber anstrengen sollten sie sich schon bei dem Prozess der Anverwandlung. Das gehörte zu Spiel des Oscarköderns. Ich fand, dass dabei ein ungebührliches Maß an Mimikry im Spiel war – Jamie Foxx hatte Ray Charles wirklich akribisch studiert! – und hätte mir phantasievollere Einfühlung gewünscht. Man kann noch weiter zurückgehen, zu den 30 Kilo, die Robert De Niro zunahm, um in »Wie ein wilder Stier« den aufgeschwemmten Jake La Motta zu spielen. Seinerzeit wurde das als Akt höchster darstellerischer Moral gefeiert. Für mich ging diese Gleichung nicht auf; sie erscheint mir zu schlicht und naiv. Zu den wenigen Störenfrieden der verhängten Begeisterungspflicht zählte damals Warren Beatty, auch er ein Absolvent des Actors' Studio, der sich fragte, was denn wohl als Nächstes erwartet würde im Streben nach "Authentizität": Sollen wir uns einen Arm abhacken, damit wir zur Figur passen?

Heute haben etwas andere Auffassungen Konjunktur, die ebenfalls mit Identifikation, aber vor allem Identitätspolitik zu tun haben. Wie Sie bestimmt gelesen haben, trägt Cooper in seinem Biopic über Leonard Bernstein eine prosthetische Nase, um die gerade heftig gestritten wird. Im Trailer hat mich ihr Anblick auch etwas gestört, denn sie ist zwar ausgeprägt, aber (vor allem in jungen Jahren) nicht so schön wie des Originals. Auch ich tappe eben manchmal in die Mimikry-Falle. Als "Jew facing" jedoch mag ich das nicht verteufeln. Cooper setzt sie auf, um sich vor der Kamera in eine Figur zu verwandeln, die, neben vielen anderen Identitäten, auch jüdisch war. Streng genommen wäre Coopers Sündenregister also noch viel länger: Wie kann er es sich anmaßen, einen bisexuellen Mann zu verkörpern? Und selbst wenn er Noten lesen kann – wie könnte er einem genialen Komponisten und Dirigenten ebenbürtig sein? Eine naheliegende (aber nicht notwendig konsequente) Frage wäre auch, ob er überhaupt eine solche Lebensgeschichte, die sich grundlegend von seiner eigenen unterscheidet, inszenieren darf?

Hier zu Lande verlaufen solche Debatten nicht nur deshalb unselig lang, weil das Thema dies hergibt, sondern weil sie oft enormes Potenzial zur eigenen Profilierung bieten. Es herrscht ein Hang zum Grundsätzlichen, zur Maximalposition. Deshalb nimmt es nicht wunder, wenn beispielsweise das stets auf der korrekten Seite stehende Feuilleton des "Tagesspiegel" in der Causa Cooper-Bernstein „automatisch ungute Assoziationen an die NS-Zeit“ geweckt sah. Warum wird gleich ein so schweres Geschütz in Stellung gebracht? Es ist kaum anzunehmen, dass Diskriminierung auf Coopers Agenda stehen sollte. Ihm geht es bestimmt nicht um eine antisemitische Karikatur. Er versucht schlicht und einfach, einen wahnsinnig attraktiven und charismatischen Künstler darstellen. Wie sagte einmal der von den Nationalsozialisten verfolgte Kabarettist Werner Finck: "Ich bin kein Jude, ich sehe nur intelligent aus."

Ambivalenzen halten hiesige Debatten nicht aus; sie nähren sich aus der Eindeutigkeit. Sie geben vor, auf kulturelle Sensibilisierung zu zielen. Aber geht es den Empörten wirklich nur um Ermächtigung und größere Diversität? Sie gebärden sich dirigistisch. Womöglich verleiht das ein Gefühl von Macht, unter deren Mangel wir Kritiker bekanntlich chronisch leiden. Was soll es also heißen, dass Hollywood eigentlich schon "weiter sein" müsste, als die Rolle eines Juden mit einem Goj zu besetzen? Mit solchen Setzungen (der darf dies, der darf dies nicht) werden Spielräume nicht aufgeschlossen, sondern eingegrenzt. Kunst lässt sich nicht berechnen. Aber die Sehnsucht, die Traummaschine Kino als Gerechtigkeitsmaschine dingfest zu machen, scheint enorm stark zu sein.

Ein Gesicht, das uns aktuell viel mehr Sorgen bereiten sollte, ist das, welches Donald Trump vor einigen Tagen für seinen Mug Shot in Fulton, Georgia aufsetzte. Er sieht wütend und rachsüchtig darauf aus. Sein Blick fordert den Rechtsstaat mit geballter Verachtung heraus. Imitiert er bewusst den "Kubrick Stare", den gesenkt drohenden Blick der Psychopathen (https://www.thewrap.com/trumps-glare-likened-to-iconic-stanley-kubrick-villains-at-the-peak-of-their-derangement/)? Das verhängnisvoll Witternde in diesem Starren ist immerhin vergleichbar. Zumindest tritt die Künstlichkeit seines Antlitz' für diesen Moment zurück. Das unwirklich weiß schimmernde Krokodilsgebiß ist verborgen, Es erinnerte wohl ohnehin zu sehr an das Feixen von Silvio Berlusconi, von dem er sich absetzte, als er nach seinem hoffentlich einzigen Wahlsieg die grimmige Mimik Mussolinis als Maske der Genugtuung wählte. Vielleicht war ihm die Seelenverwandtschaft mit dem bösen Clown der "Forza Italia" bewusst und er musste sie tilgen. Ihre Verbindung von Geschäftssinn und Machtgier bleibt indes bestehen. T-Shirts mit dem Mug Shot und dem kreativen Aufdruck "Never Surrender" kosten sage und schreibe 47 Dollar. Das ist eine horrende Summe und eine symbolische. Die Einnahmen fließen in den Wahlkampffonds, der ihn zum 47. Präsidenten der USA machen soll.

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