Rächerin des Kinos? Oder dessen Witwe?

Einer der niederschmetterndsten Filme, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, ist »Marriage Story«. Es ist kaum auszuhalten, wie schonungslos der Scheidungskrieg ausgetragen wird, sobald Adam Driver und Scarlett Johansson in die Fänge ihrer Anwälte geraten. Nichts, das sie bisher verbunden hat, darf mehr Bestand haben. Jede private Situation gerät plötzlich auf den juristischen Prüfstand. Kein Stein bleibt auf dem anderen.

Wie Sie am Wochenende gewiss mitbekommen haben, geht Johansson wieder vor Gericht, diesmal im wirklichen Leben und eigenen Namen. Sie verklagt Disney auf ihre Gewinnbeteiligung am Einspiel von »Black Widow«, das erheblich geringer als erwartet ausgefallen ist, da der Marvel-Film zeitgleich mit seinem Kinostart auf der Streamingplattform Disney+ herauskam. Nach Ansicht ihrer Anwälte ist der Konzern damit vertragsbrüchig geworden und sind ihrer Mandantin damit bis zu 50 Millionen Dollar entgangen. Sie argumentieren, der Beklagte hätte den schon mehrfach verschobenen Film zu einem späteren, erfolgsträchtigeren Zeitpunkt herausbringen können, an dem sich der Kinomarkt weiter konsolidiert hat. Disney habe es jedoch vorgezogen, die absehbaren Verluste in Kauf zu nehmen, um ihren Streamingdienst zu stärken.

Vor Gericht wird sicher nicht so viel schmutzige Wäsche gewaschen werden wie in Noah Baumbachs Film (wenngleich man sich gut vorstellen kann, dass die Disney-Anwälte der Klägerin vorwerfen, sie habe ein Vertrauensverhältnis erschüttert). Aber mächtig ins Zeug legen werden sich die Rechtsvertreter beider Seiten zweifellos. Die Machtverhältnisse sind asymmetrischer als bei Baumbach. Einem Superhelden-Film hingegen scheinen sie angemessen: Ein Star nimmt es mit dem mächtigsten Player der Unterhaltungsbranche auf.

Angesichts solch astronomischer Summen kommt es nicht zwingend in den Sinn, dass es hier um Fragen des Arbeitsrechts geht. Es steht nicht zur Debatte, ob die Schauspielerin sie wirklich braucht oder verdient. Von der wirtschaftlichen Legitimität ihrer Forderungen war immerhin auch das Studio überzeugt, als es den Vertrag mit ihr abschloss. Zu diesem Zeitpunkt hatte es seine Bezahlplattform allerdings noch nicht lanciert. Auch Kinobesitzer-Verbände in den USA hatten Disney wegen deren day-and-date-Strategie bereits scharf angegriffen. Zwar verzeichnete „Black Widow“ das beste Startwochenende seit Beginn der Pandemie. In der zweiten Woche brach das Kassenergebnis jedoch um 67 % ein, was es bei einem Avengers-Film bislang noch nicht gegeben hat. Es steht jedoch mehr auf dem Spiel als aktuelle Bilanzen. Das Urteil könnte, falls der Rechtsstreit nicht vorher mit einem Vergleich beigelegt wird, richtungsweisend sein. Allerdings lässt sich momentan nicht mit Sicherheit sagen, ob er nicht bereits ein Nachgefecht ist.

Seit dem Aufkommen von Netflix & Co haben sich die Gleichungen im Hollywoodgeschäft in einem Ausmaß verändert, auf das anscheinend niemand recht vorbereitet war. Tentpoles wie die Eskapaden im Marvel-Universum, die in den Kinos eine Milliarde einspielen müssen, um rentabel zu sein, könnten zum Auslaufmodell werden. Derzeit herrscht noch heillose Verunsicherung, wie bei hybriden Starts "back end"–Gagen, also Gewinnbeteiligungen an nachgeschalteten Verwertungsformen, verhandelt werden soll. (Nachgeschaltet sind sie inzwischen streng genommen ja nicht mehr, da die Filme gleichzeitig in den unterschiedlichen Medien herauskommen.) Warner Brothers reagierten zum Jahreswechsel auf den Sturm der Empörung, der ihnen entgegenschlug (siehe die Einträge "Daseinsvorsorge" und "Eine Entfremdung" vom 18. bzw. 19.12. 2020), in dem sie Patty Jenkins und Gal Gadot für »Wonder Woman II« jeweils einen Bonus von 10 Millionen Dollar zahlten. Weitere von Warners hybrider Auswertung betroffene Talente, darunter Will Smith und Denzel Washington, sollen aus einem Topf von 200 Millionen abgegolten werden. Andere Quellen sprechen von 250 Millionen, was zeigt, wie wenig transparent das Gebaren der Studios derzeit ist.

An einer Offenlegung von Zahlen ist auch Disney momentan nicht gelegen. Zwar verkündete der Konzern stolz, »Black Widow« habe in der Startwoche 60 Millionen Dollar auf Disney+ eingebracht (was zwei Millionen Abonennten entspricht, die bereit waren, dafür 29,99 Dollar extra zu zahlen). Über die Ergebnisse der Folgewochen schweigt man sich aus, was auf eine enttäuschende Entwicklung schließen lassen könnte. Der Börsenkurs schnellte jedoch, wie von Disney erhofft, in die Höhe. Brancheninsider gehen davon aus, dass in ähnlichen Fällen längst hinter verschlossenen Türen nachträgliche Vereinbarungen ausgehandelt werden. In den Verträgen zum gerade angelaufenen »Jungle Cruise« wurden bereits Bonuszahlungen festgelegt, die durch die Verwertung auf Disney+ fällig werden.

Johansson hingegen ist an die Öffentlichkeit getreten und hat diese anscheinend sogleich auf ihre Seite gebracht. Sie scheut das offene Wort nicht. Zum Filmstart etwa hat sie die Sexualisierung ihrer Figur in vorherigen Avengers-Episoden heftig beklagt. Ihr Mut stößt auch unter KollegInnen auf großen Zuspruch. Die erste Reaktion der Disney-Leitung auf die Klage hat sich zu einem PR-Desaster entwickelt. Sie sei erschüttert, ließ sie verlauten, welchen Mangel an Mitgefühl für die Opfer der Pandemie die Forderungen der Schauspielerin demonstrierten. Selbst wenn sich zwischen beidem ein Zusammenhang konstruieren ließe, ist das eine zynische Argumentation von Seiten eines Konzerns, der 30000 Angestellte entlässt, um weiterhin Dividenden auszahlen zu können. Verbände wie "Women in Film" und "Time's up" zeihen Disney eines frauenfeindlichen Charakterangriffs. Wieder einmal stehen sich in einer aktuellen Debatte also Maximalpositionen unversöhnlich gegenüber.

Brancheninsider bewerten die Erfolgsaussichten der Klage bisher mehrheitlich als hoch. Eine möglicherweise grundlegende Frage ist aber schon einmal, wer überhaupt verklagt werden kann, Marvel Studios oder deren Eigentümer Disney? Johanssons Rechtsvertreter werden sich dies vorher überlegt haben. Jedoch gibt es bei zentralen Klauseln ihres Vertrag einen gewissen Interpretationsspielraum. Als Johansson ihn unterschrieb, konnte sie davon ausgehen, dass ihr Film einen breit angelegten Start in mehr als 1500 Kinos haben solle (tatsächlich waren es 4000) und das Studio ein Fenster von 90 bis 120 Tagen einhalten würde, bis es ihn auf Heimmedien auswertet. Da bewegt man sich im heiklen Bereich der vorherrschenden juristischen Meinung. Dass sich dies damals verstand, könnten Disneys Rechtsvertreter als heute nicht mehr bindend auslegen. Johanssons Anwälte verweisen jedoch auf die Email eines Justitiars, der für den Fall einer Änderung der Verwertungskette entsprechende Nachverhandlungen zusicherte. Wie auch immer das Verfahren ausgeht – das Tischtuch zwischen Johansson und Disney scheint zerrissen. Vielleicht hat sie nun wieder mehr Zeit, in kleineren Filmen wie »Marriage Story« mitzuspielen. An dessen Ende fängt für die streitenden Parteien ein neues Kapitel an und es zeigt sich, dass Wandel nie ohne Zuversicht auskommt. Das ist im Filmgeschäft seit 1895 so.

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