In seinen Schuhen

»Norman« (2016). © Sony Pictures

Ein israelischer Regisseur bringt Verständnis für Veit Harlan auf? Als ich das las, musste ich auch erst einmal schlucken. Die Filmgeschichte mag zwar einige Beispiele für derlei verblüffende Bewunderung unter Kollegen liefern, etwa Frank Capras Begeisterung für Leni Riefenstahl (von der ihn ideologisch ja vielleicht weniger trennte, als man gemeinhin annimmt). Aber wer käme schon auf die Idee, dass der Regisseur von »Jud Süß« in Israel tatsächlich einen Fürsprecher finden könnte?

Joseph Cedar jedoch, dessen »Norman« in dieser Woche in Deutschland anläuft, kann sich tatsächlich hineinversetzen in das ethische Dilemma, vor dem sein Kollege während der Nazizeit stand. »Als ich von Harlans Geschichte erfuhr, konnte ich die Wendung, die sein Leben nahm, absolut verstehen«, sagt Cedar während eines Interviews mit der Tageszeitung »Haaretz«. Er könne nachvollziehen, weshalb ein talentierter Regisseur, der außerhalb seiner Heimat unbekannt war (mithin keine Angebote aus Hollywood erhielt, die ihn zur Flucht ermutigt hätten), da blieb und sich auf den Teufelspakt mit Goebbels einließ. Cedar redet hier nicht dem blanken Opportunismus das Wort. Er selbst dreht keine bequemen Filme - das Bild, das er in »Beaufort« vom Libanonkrieg zeichnet, ist nicht angetan, das Wohlgefallen der israelischen Regierung zu finden. Auch geht es ihm nicht um eine Ehrenrettung Harlans, sondern um eine gründliche Erforschung von Ambivalenzen und Widersprüchen. Also hat er sich nicht abschrecken lassen von Harlans Ruf als Regisseur von Hetz- und Durchhaltefilmen, sondern vielmehr dessen Tagebücher studiert und dabei zum Beispiel entdeckt, dass er ursprünglich ein anderes Ende drehte, in dem Jud Süß einen heroischen Tod stirbt. Seine Konflikte mit Goebbels und dem eigenen Gewissen könnten in der Tat ein provozierendes, rissiges Drama ergeben ( und allemal interessanter sein, als die Auseinandersetzung eines deutschen Regisseurs damit). Anderseits kann man Cedars Zögern verstehen, einen Kostümfilm mit riesigen Statistenheeren zu drehen, die den Hitlergruß entrichten. Und nochmal andererseits: Vielleicht ändert der Regisseur ja noch seine Meinung, wenn er Frank Noacks wegweisende Harlan-Monografie »Des Teufels Regisseur« gelesen hat, die nun auch in englischer Übersetzung vorliegt.

Vergeblich waren seine Recherchen ohnehin nicht, denn sie haben Spuren in »Norman« hinterlassen, die der Arbeitstitel »Oppenheimer Strategies« noch deutlicher verrät. Die von Richard Gere gespielte Titelfigur ist eine zeitgenössische New Yorker Inkarnation eines jener »Hofjuden« wie eben Joseph Süß Oppenheimer, der als Finanzberater des Herzogs von Wittenberg die Nähe der Macht suchte. Bislang war diese Figur vor allem negativ konnotiert. Cedar hat sie nun dem antisemitischen Klischee entrissen. »A warm jew«, so beschreibt ihn der aufstrebende israelische Politiker nach ihrer ersten Begegnung: ein wunderschöner Dialogmoment, den zu zitieren ich in meiner Kritik des Films leider versäumt habe. Die Hintergründe des Films sind so faszinierend, dass ich Ihnen die Lektüre des Interviews nur ans Herz legen kann. Geben Sie einfach den Namen des Regisseurs, der Zeitung und den Filmtitel ein. Da erfahren Sie eine Menge über die Quellen seiner Inspiration – die fabelhafte Szene, in der Norman für den Politiker ein Paar Schuhe kauft, geht beispiel auf ein Erlebnis vor der Oscar-Verleihung zurück (Cedar hatte keinen passenden Anzug, als er für »Footnote« nominiert war) -, aber auch Aufschlussreiches über das heikle Verhältnis des jüdischen Geldadels in New York zu Israel.

Cedars Empathie für Veit Harlan ist wohl auch aktuellen, eigenen Erfahrungen geschuldet. Die israelische Kulturministerin Miri Regev fordert, dass die Vergabe staatlicher Subventionen fortan an eine Loyalitätserklärung gebunden ist. Es geht ihr gegen den Strich, anti-israelische Filmprojekte zu unterstützen. Bislang funktionierte das nicht so reibungslos, da konnten noch Filme wie Samuel Moaz' in Venedig ausgezeichneter »Foxtrot« entstehen, den sie für diffamierend und verlogen hält und für den sie sich bei den israelischen Soldaten entschuldigt hat. Im Moment wird sie gewiss vor Wut schäumen, nachdem er am letzten Dienstag die wichtigsten israelischen Filmpreise gewonnen (einer ging an den wunderbaren Lior Ashkenazi als bester Hauptdarsteller) und nun als Kandidat ins Rennen um den Auslands-Oscar geht. Beim Lesen dieser Meldungen musste ich an die überspannte Szene aus »Norman« denken, in der Gere von lauter Lobbyisten bestürmt wird, darunter die Vertreterin einer Kommission, die beklagt, seit »Exodus« habe kein Film mehr ein positives Bild von Israel gezeichnet.

Cedar, dessen Filme in der Regel heftige Kritik an Institutionen und Ideologien üben, geht wahrscheinlich einer steinigen Zukunft entgegen. Das Interview mit »Haaretz« ist eine wahre Fundgrube an Einsichten in die kulturellen und politischen Verwerfungen seiner Heimat. Der Korruptionsskandal, in den der Premier seines Films verstrickt wird, hat sowohl historische (die Verurteilung des ehemaligen Premiers Ehud Olmert zu einer empfindlichen Haftstrafe) wie familiäre Hintergründe (die Tante des Regisseurs war lange mit dem amerikanischen Geschäftsmann verheiratet, von dem anscheinend die prall gefüllten Briefumschläge für Olmert stammten). In solchen moralischen Grauzonen bewegen sich Cedars Figuren ständig, weshalb der Regisseur zum Problem der Bestechlichkeit eine ziemlich entspannte Position einnimmt. »Ich bin mir nicht sicher,« meint er, »ob ich einen asketischen Politiker wirklich einem hedonistischen vorziehe.«

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