Film Festival Locarno Retrospektive

Mexikanisches Kino
»Mädchen der Straße« (1951). © Courtsey of Filmoteca

»Mädchen der Straße« (1951). © Courtsey of Filmoteca

Beim Filmfestival in Locarno zeigte eine Retrospektive die Vielfalt des mexikanischen Films zwischen 1940 und 1969, nun kommen die Filme auch nach Deutschland

»Kein Platz für seidene Kissen« – so einen Filmtitel muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, er weckt die schönsten Erwartungen an populäres Kino. Und populär war das Kino in Mexiko in den vierziger und fünfziger Jahren, so populär, dass es von Seiten der Filmgeschichtsschreibung ziemlich vernachlässigt wurde. Liebhaber des Trivialkinos dürften an Filme wie die mit dem maskierten Wrestler Santo denken, der zwischen 1961 und 1982 in über fünfzig Filmen alle Arten von Bösen bekämpfte. Aber das populäre mexikanische Kino lässt sich nicht darauf reduzieren, man findet hier ebenso zwei Filme nach Vorlagen von Stefan Zweig, eine Neuverfilmung von »Mädchen in Uniform« und im dominierenden Genre des Melodrams Werke, die sich kritisch mit dem Machismo der Gesellschaft auseinandersetzen oder ihre Sozialkritik darin verpacken. Dazu gehört auch, aber nicht nur Luis Buñuel, der zwischen 1946 und 1964 zwanzig Filme in Mexiko drehte. 

Mit dem Titel »Spektakel jeden Tag. Das goldene Zeitalter des mexikanischen Kinos 1940–1969« war die diesjährige Retrospektive des Festivals von Locarno ein Versprechen, das die Filme aufs Schönste einlösten. Mit einer Auswahl von dreizehn Titeln, die das Berliner »Arsenal« im Dezember zeigt, ist sie jetzt erfreulicherweise in Deutschland angekommen.

»Kein Platz für seidene Kissen« (Más fuerte que el amor) stammt aus dem Jahr 1955. »Ein handwerklich dilettantisches Melodram«, befand der katholische »film-dienst«, als der Film 1961 in die deutschen Kinos kam. Dabei ist der von dem gebürtigen Argentinier Tulio Demicheli inszenierte und mitverfasste Film eine hübsche Variante von »Der Widerspenstigen Zähmung«, in dem der so tatkräftige wie bodenständige Landbesitzer Carlos die aus New York heimgekehrte Tochter seines einstigen Bosses nach vielen Wirrungen für sich gewinnt. Zum »Spektakel« gehört hier eine sexuell aufgeladene Tanznummer in einer Bar, bei der sich die Tänzerin als vom Teufel Besessene lasziv auf dem Boden wälzt.

Geht der Humor in diesem Film weitgehend zulasten der hochnäsigen Erbin Barbara, so nimmt »Mädchen der Straße« (Trotacalles, 1951) eindeutig die Perspektive der Frau ein. Die Schwestern Maria und Elena zerstritten sich einst über einen Mann, Maria landete als Prostituierte auf der Straße, während Elena ihren Chef heiratete und nun dessen »trophy wife« ist. Verknüpft werden die Schicksale durch Marias Liebhaber und Zuhälter Rodolfo, der Elena Zuneigung und Leidenschaft vorspielt, um an ihr Geld zu kommen. In zwei langen Monologen von Marias Kollegin Marta wird die Situation der Frauen auf der Straße schonungslos auf den Punkt gebracht. Inszeniert und mitgeschrieben von Matilde Landeta nimmt der Film eine Sonderstellung innerhalb der Retro ein als einzige Regiearbeit einer Frau. Landetas schmales Oeuvre legt Zeugnis davon ab, welche Hindernisse ihr als Frau in der Filmindustrie in den Weg gelegt wurden.

Die direkte Anklage gegen bestehende Verhältnisse findet sich auch in »Wetbacks« (Espaldas Mojadas, 1955) von Alejandro Galindo, hier versehen mit einem sarkastischen Unterton, der schon den Off-Text zu Beginn prägt. Erzählt wird von Menschen, die auf der Suche nach Arbeit von der mexikanischen Grenzstadt aus bei Nacht den Grenzfluss in die USA zu überqueren versuchen. Die hier schwer bewachte Grenze mutet dabei wie die Vorwegnahme des Konzeptes eines amerikanischen Präsidenten 65 Jahre später an.

Die Chronologie endet mit René Cardonas »The Batwoman« (La mujer murciélago, 1968), in der die Titel gebende Protagonistin, eine maskierte Wrestlerin, mit einem FBI-Agenten einen »mad scientist« unschädlich macht, der Wrestler ermorden lässt, um mithilfe ihrer Körperflüssigkeit einen Fischmenschen zu erschaffen. Die Anleihen an »Creature from the Blue Lagoon« sind unübersehbar, die Schurken leider etwas zu dilettantisch, um der Titelheldin ernsthaft Paroli zu bieten.

»Kein Platz für seidene Kissen«, »Mädchen der Straße« und »The Batwoman« sind auch Teil einer fünf Filme umfassenden Kollektion, die der Streamingdienst MUBI in Zusammenarbeit mit Locarno anbietet. Viele der Filme finden sich zudem auch bei YouTube, dort allerdings fast ausschließlich ohne Untertitel.

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