Interview mit Thomas Stuber über seinen TV-Film »Kruso«

Thomas Stuber und Clemens Meyer am Set von »Kruso« (2018). © MDR/Departures Film GmbH

Thomas Stuber und Clemens Meyer am Set von »Kruso« (2018). © MDR/Departures Film GmbH

Herr Stuber, ich nehme an, Sie kannten den Roman von Lutz Seiler schon länger?

Ja, ich weiß noch, dass ich es als Taschenbuch gelesen habe, das dürfte 2015, 2016 gewesen sein, die Erstausgabe erschien ja 2014.

Haben Sie damals schon gedacht, das könnte ein Stoff für einen Film sein, einen Film, den ich gerne machen würde?

Ehrlich gesagt: überhaupt nicht. Das sprang mich damals als Film überhaupt nicht an, einfach, weil es ein sehr literarisches Werk ist, fast ein lyrisches Werk. Ich dachte damals, wenn man es als Film machen würde, müsste man sehr viel verändern – und ob man dann noch den Geist der Vorlage bewahren könnte, schien mir zweifelhaft.

Aber es sollte anders kommen…

Ja, zwei, drei Jahre später kam die Anfrage; das Drehbuch war auch schon geschrieben, zumindest in einer ersten Fassung, an der wir dann noch gearbeitet haben. Erst dann habe ich mich da hineingewühlt und war auch am Überlegen, weil ich mich daran erinnert habe, dass ich anfangs Zweifel hatte – kann ich daraus einen guten Film machen? Aber dann war mein Ehrgeiz angestachelt.

Das Drehbuch stammt von Thomas Kirchner, der mit Uwe Tellkamps »Der Turm« schon ein anderes wichtiges Buch über die DDR für das Fernsehen adaptiert hat. Sie selber haben im Vorspann eine Nennung für »Drehbuchbearbeitung«. Wie sah das aus?

Es ist keine einfache Adaption gewesen, man kann auch nicht sagen, »richtig oder falsch«, das kann man in verschiedenste Richtungen entwickeln. Irgendwann habe ich auch alleine geschrieben, weil Thomas Kirchner etwas anderes zu tun hatte, das ging über ein halbes bis dreiviertel Jahr. 

Können Sie sagen, wo die Problempunkte lagen bei der Adaptation?

»Problempunkte« trifft es nicht unbedingt. Es gibt Romane oder auch Kurzgeschichten (bei »In den Gängen« hatte die Vorlage einen Umfang von nur dreißig Seiten), bei denen es eher darum geht: was fügen wir hinzu – auch dabei kann man Fehler machen. Hier haben wir es mit einem Roman von fast 500 Seiten zu tun und dazu mit einem Fernsehfilm, der auch in der Länge beschränkt ist, der ein gewisses Korsett hat, so dass du ganz viel wegnehmen musst. Der Roman von Lutz Seiler ist sehr atmosphärisch, er hat sehr viel inneren Monolog – also all das, was man nicht direkt in Szene setzen kann. Das muss man ersetzen und das ist die Schwierigkeit dabei. Ansonsten hat es ein Roman auch leichter, dass er über längere Bögen erzählen kann und Dramatisierungen, Spannungspunkte, die der Fernsehfilm eben braucht, nicht liefert. 

Ihr Film fängt auf einem Ausflugdampfer an, der sich der Insel Hiddensee nähert, während der Roman mit einer dreißigseitigen Vorgeschichte beginnt, auf die später auch mehrfach zurückgeblendet wird.

Das finde ich spannend, diesen Mikrokosmos, die Insel, das hat etwas genremäßiges, ein Dorf, ein Haus, eine Nacht – das war eine richtige Entscheidung; im Roman gibt es am Ende auch noch einen Epilog. Der Verzicht darauf führt natürlich dazu, dass man andere Motivationen hereinbringen muss, also etwa, warum Leute so früh auf der Insel sind. Aber ich würde dabei nicht von Problemen sprechen, das bedeutet einfach nur harte Arbeit, wobei man durchaus auch manchmal in Sackgassen geraten kann. 

Hier macht gleich zu Beginn auf dem Ausflugsdampfer ein Mann eine Bemerkung, wie weit es nach Dänemark sei. Daraus kann der Zuschauer schließen, dass der Film zu DDR-Zeiten spielt…

Das ist ein Beispiel – diese Szene findet sich nicht im Buch, die hat Thomas Kirchner geschrieben, um genau diese Orientierung zu schaffen: Wie schaffen wir es frühzeitig, einen Ausblick zu geben, worum es hier geht?

Der Film beginnt mit Ed, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, trägt aber im Titel den Namen einer anderen Figur. Stellte Sie das vor ein Problem bei der Gewichtung dieser beiden Figuren?

Ed ist die emotionale Figur, mit der der Zuschauer in diesen Film hineingeht. Kruso ist die Zielfigur, um die es sich dreht, das Geheimnis, der König sozusagen. Im Zentrum steht die Männerfreundschaft der beiden, deshalb würde ich sie beide als Hauptfiguren bezeichnen. 

Gab es bei der Besetzung schon Festlegungen oder hat man Ihnen da freie Hand gelassen?

Je mehr es in die Nebenrollen geht, desto mehr ist das meine Aufgabe. Ansonsten mache ich, zusammen mit meiner Casterin, Vorschläge, die dann in größerer Runde besprochen werden. Das betrifft natürlich vor allem die beiden Hauptfiguren. Bei denen gibt es auch ein gemeinsames Casting, denn die müssen natürlich zusammen passen. Das haben wir schon über mehrere Termine gefilmt und ausgewertet, bevor wir uns entschieden haben. 

Lars Kraume hat im Hinblick auf »Das schweigende Klassenzimmer« erzählt, dass es ihm wichtig war, dass die erwachsenen Schauspieler eine Ost-Biografie hatten. Hat diese Überlegung hier eine Rolle gespielt?

Bei »In den Gängen« war es so – nur Franz Rogowski war zwischen ihnen der Wessi aus Tübingen, aber das hat wunderbar gepasst. Man sollte da aber auch nicht zu dogmatisch sein. Für mich ist das kein Ausschlusskriterium, Albrecht Schuch kommt aus dem Osten, war aber bei der Wende erst ein Jahr alt, Jonathan Berlin kommt aus dem Westen, aber der hatte etwas, was zu der Rolle passte. Man muss es einfach sorgfältig machen.

Werden Zuschauer mit Ost-Biografie im Film mehr sehen als die aus dem Westen, etwa was Details anbelangt? Die Standardangebote in den Restaurants kennt man ja auch als Westler, der mal in der DDR auf Besuch gewesen ist.

Na klar, ich möchte ja aber keinen ostalgischen Film machen – obwohl wir auch nicht auf Hiddensee gedreht haben, sollte das schon realistisch sein. Ich hoffe, dass die universelle Botschaft alle anspricht, aber natürlich können Ostler mit dem Seiler-Roman oder auch Hiddensee als Urlaubsort mehr verknüpfen.

Der Sehnsuchtsort Hiddensee stammt ja schon aus Vor-DDR-Zeiten, vom Beginn des 20. Jahrhunderts…

Ja, aber er existierte eben auch noch in der DDR: es war schwer, da einen Urlaubsplatz zu bekommen, es gab viele Aussteiger und Punks, die dort waren, es war der nördlichste Punkt der DDR, ein Ort, der immer ein bisschen abenteuerlich war. 

Wann sind Sie selber das erste Mal dort gewesen?

In den achtziger Jahren, als Kind mit meinen Eltern – in Dranske auf Rügen, über den Bodden. Da haben wir auch die eine oder andere Tagesreise nach Hiddensee gemacht.

Die Aussteiger gab es dort damals schon –oder erst gegen Ende der DDR?

Nein, das gab es durchgehend, nicht nur '88/'89.

Und die wurden von den Organen der Staatsmacht toleriert?

Es gab keine Wachttürme auf Hiddensee, das ist eine Erfindung des Films. Es wird vom Kruso eine Freiheit in der Unfreiheit programmiert. Das ist typisch DDR, dass es da sehr viele Nischen und Freiräume gab. Dass es die heute im Westen nicht mehr gibt, hat bestimmte Gründe. Mit dem Zusammenbruch der DDR verschwindet ausgerechnet diese Nische, diese Freiheit, die dort möglich war, die toleriert wurde – die verschwindet, als die große Freiheit kommt – das ist die große Tragödie.

Was für mich den Film auch mit Ihren anderen Arbeiten verbunden hat, war die dokumentarisch genaue Schilderung von Arbeitsabläufen, hier zumal in der Küche…

Das kann ich nicht für mich reklamieren, schon im Roman gibt es ganze Seiten mit genauen Beschreibungen.

Dies ist nicht Ihre erste Fernseharbeit. Haben Sie beim Drehen Unterschiede im Kopf?

Grundsätzlich denke ich nicht kleiner – abgesehen davon werden die Fernsehgeräte ja auch immer größer. Man muss natürlich auf ein paar Sachen achten, man filmt tendenziell immer größer, damit man die Gesichter besser sieht. Vielleicht muss man die Spannung anders dosieren – beim Fernsehen kann der Zuschauer sich leichter entziehen. »Kruso« war für mich immer der große Abenteuerfilm.

Gab es zu Beginn auch einmal die Überlegung, daraus einen Zweiteiler zu machen?

Nein – ich finde einen Zweiteiler auch immer schwierig von der Spannung. Es war aber schon die Frage, wie packt man das alles in 90 Minuten. Jetzt ist er 100 Minuten geworden und ich bin damit sehr zufrieden.

Was dürfen wir als Nächstes von Ihnen erwarten?

Clemens Meyer und sich sitzen am nächsten Kinostoff, aber das wird dauern. Ich habe einen »Polizeiruf Rostock« geschrieben, den ich aber nicht inszenieren werde. Mit Clemens Meyer habe ich einen »Tatort« für Ulrich Tukur geschrieben, den drehe ich jetzt, er soll im Herbst 2019 ausgestrahlt werden.

Ist da die Auflage: das muss schräg sein?

Das ist keine Auflage, das ist quasi die Einladung.

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