Kritik zu Sieben Minuten nach Mitternacht

© Studiocanal

Der Spanier Juan Antonio Bayona wurde durch seinen subtilen Horrorfilm »Das Waisenhaus« bekannt. Jetzt hat er, nach der Buchvorlage von Patrick Ness, ein berührendes Coming-of-Age-Drama vorgelegt, das mit Mitteln verscheidener Genres existenzielle Themen verhandelt

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Einsam steht eine mächtige Eibe neben einem abgelegenen, aufgegeben wirkenden Friedhof. Die Kapelle dazu scheint ebenso verlassen. Bis plötzlich Risse zwischen den Gräbern entstehen und sich mit Getöse und viel Wind ein riesiges Loch ins Erdinnere auftut. Ein Schlund, der auch Menschen in sich hineinreißt.

Es ist ein böser Albtraum, aus dem der 13-jährige Conor O'Malley erwacht, die Schlüsselszene des ganzen Films. Mit einer Prise Realität, wie in jedem Traum: den Friedhof kann Conor von seinem Fenster aus sehen. Conor hat gelernt, sein Leben ziemlich allein zu bewältigen; wenn er in die Schule geht, schmiert er sich routiniert die Brote für die Schule selbst. Wobei die Schule für ihn eher unangenehm ist, wird er doch von einem viel größeren Mitschüler beständig drangsaliert. Seine Mutter ist krank, ihre kurzen Haare und die vielen Medikamente deuten darauf hin, dass sie an Krebs leidet. Am Abend schauen die beiden mit einem alten 16-mm-Projektor einen Film, »King Kong und die weiße Frau«, mit der berühmten Schlussszene auf dem Empire State Building, als der Riesenaffe, getroffen von den Schüssen aus den Flugzeugen, in die Tiefe fällt.

Und in der Nacht bekommt Conor Besuch von einem anderen Monster. Conor zeichnet gerne, und als er nachts an seinem Schreibtisch sitzt, rollen seine Stifte Richtung Fenster. Um 0.07 Uhr. Die Eibe vom Friedhof steht vor dem Dachfenster des Jungen, mit glühenden Augen und einem inneren Feuer. Die Wurzeln reichen ins Zimmer, umfassen Conor. Und das Monster spricht. Drei Geschichten will es dem Jungen erzählen, und dann soll Conor seine eigene, vierte anschließen.

Der spanische Regisseur Juan Antonio Bayona hat mit »Sieben Minuten nach Mitternacht« ein Buch des Autors Patrick Ness verfilmt. Wie im Buch gehen auch in seinem Film Traum und Realität, Fantasie und Wirklichkeit geradezu traumwandlerisch ineinander. Das Monster wird zu so etwas wie einem Begleiter und Ratgeber für Conor, aber auch zu einem Spiegel, der ihm seine eigene Lage vorhält. »Ich will wissen, was mit Mum passieren wird«, sagt Conor. Und das Monster antwortet, in der Originalfassung übrigens mit der tiefen, im Bass raunenden Stimme von Liam Neeson: »Weißt Du es denn nicht schon längst?«

Die drei Geschichten, die der Baum erzählt, sind wie mit Wasserfarben hingetuscht, so, als hätte sie Conor selbst gezeichnet. Sie sind für Conor Reflexion und Inspiration, auch seine Aggression rauszulassen. Einmal, als der Baum von einem Mann erzählt, der für die anderen unsichtbar bleibt, verprügelt der körperlich eher kleine Conor seinen drangsalierenden Mitschüler, einmal zerlegt er in seinem Furor das Wohnzimmer seiner Großmutter. Nachdem er die Standuhr auf 0.07 Uhr gestellt hatte ... Die Großmutter wird verkörpert von Sigourney Weaver (in ihrer ersten Oma-Rolle), und sie hat vielleicht neben dem beeindruckenden Lewis MacDougall als Conor die vielschichtigste Rolle, eine Frau, die auf den ersten Blick wie eine Spießerin wirkt, der man aber bei aller Beherrschtheit die Liebe zu ihrer Tochter und ihrem Enkel anmerkt. Denn Conor muss zu ihr ziehen, als seine Mutter (Felicity Jones) ins Krankenhaus kommt. Mit seinem leiblichen Vater (Toby Kebbell) ist nicht viel anzufangen, der lebt in Los Angeles mit einer neuen Familie, kommt nur einmal kurz vorbei und will Conor nicht zu sich holen.

»Sieben Minuten nach Mitternacht« ist vieles zugleich, ein Horrorfilm, ein Coming-of-Age-Drama, ein Märchen mit bösem Ausgang, ein Special-Effects-Werk mit vielen Anspielungen, etwa an »Pans Labyrinth« von Guillermo Del Toro, und man kann den Spanier Bayona, der ein Werk eines US-Amerikaners in Großbritannien mit gothic-Touch realisiert hat, nur dafür bewundern, mit welcher Sicherheit er diese Elemente unter einen Hut bringt und dem emotionalen Drama dieses Jungen unterordnet. Denn vor allem anderen handelt »Sieben Minuten nach Mitternacht« vom Loslassen und der Angst vor dem Verlust.

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