Kritik zu El Clan

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Pablo Traperos Thriller erzählt die wahre Geschichte einer argentinischen Wohlstandsfamilie, die in den 80er Jahren mit Entführung und Mord für einen der größten Skandale in der Geschichte des Landes sorgte

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Die Augen. Immer wieder diese Augen. Wie ein Reptil legt Arquímedes Puccio (Guillermo Francella) den seelenruhigen, aber drohenden Blick auf seinen Sohn Alejandro (Peter Lanzani). »Es ist alles gut. Wir tun das nur zum Wohl unserer Familie«, scheinen diese Augen sagen zu wollen. Sie sind blau, stählern, klar. Man kann sich viel zu schnell in ihnen verlieren. Faszinierend und furchtbar zugleich. Ist das vielleicht der heimliche Bruder von Udo Kier? Sie könnten fast Zwillinge sein.

»El Clan« erzählt die ungeheuerliche Geschichte einer argentinischen Wohlstandsfamilie in den 80er Jahren. Und das lateinamerikanische Kino hat schon viele ungeheuerliche Geschichten ans Tageslicht gebracht, die nach Jahrzehnten überstandener Militärdiktatur noch immer in den Köpfen der Menschen herumspuken. »El Clan« ist die wahre Story der Puccio-Familie aus San Isidro, einem Vorort von Buenos Aires. Patriarch Arquímedes, früher ranghohes Mitglied der Militärjunta, hat kurz nach dem politischen Wandel sein gesellschaftliches Schlupfloch gefunden. Es ist 1985, Argentinien seit zwei Jahren endlich Demokratie – und über die blutige Vergangenheit wird weitgehend Stillschweigen bewahrt. Die Fassade der Puccios wird vor allem durch Sohn Peter aufrechterhalten. Er ist der Star der »Pumas«, des örtlichen Rugby-Vereins, und unterhält nicht nur beste Kontakte zu internationalen Spielerberatern, die ihm eine glorreiche Profikarriere prophezeien, sondern auch zu seinen reichen Teamkollegen, die in den Villen abgeriegelter Vorstadtsiedlungen hausen. Was niemand weiß: Peter und sein Vater entführen regelmäßig reiche Freunde aus seinem Umfeld, erzwingen hohe Lösegeldsummen – und bringen die Opfer meistens um.

Pablo Traperos gnadenloser Thriller (unter anderem produziert von Pedro Almodóvars Firma El Deseo) wandelt elegant auf den Spuren von Scorsese und Buñuel. Das Porträt einer vermeintlichen Vorzeigefamilie zeigt die moralischen Fallhöhen, den ständigen Widerspruch und die schleichend anhaltende Perversion der Folgen der Militärdikatur zu Mitte der 80er Jahre auf fast schon banale und beiläufige Weise. Während sich der neue und dekadente Lifestyle des »befreiten« Argentiniens auf den Champagnerpartys genießen lässt, sitzen die Puccios unaufgeregt beim gemeinschaftlichen Abendessen vorm Fernseher. Derweil ist die Geisel ein Stockwerk höher an die Badewannenarmatur gekettet. Zeigten Filme wie »Buenos Aires 1977« oder »Garage Olimpo« (Junta) lediglich die schonungslose Brutalität der Diktaturfolterer, erforscht »El Clan« auf subtile Weise die Folgen der Diktatur im familiären Alltag. Die Ausmaße des psychologischen Horrors sind dabei nahezu identisch.

Der echte Arquímedes Puccio ist 2013 gestorben. Noch auf seinem Sterbebett hatte er alles abgestritten – da konnte man ihm und seinem »Clan« bereits drei Morde und vier Entführungen nachweisen. Insgeheim gehen die argentinischen Behörden von rund einem Dutzend mehr Entführungen aus.

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