Bei Sinnen

Nein, im Gegensatz zu ihrer fürsorglichen Schwester will es Dari partout nicht als Gnade empfinden, dass jemand sie heiraten will. Ihre Mimik lässt keinen Zweifel daran, wie selbstverständlich das sein sollte. Geliebt zu werden, verdient sie schließlich nicht weniger als jeder andere Mensch.

Aber diese Selbstverständlichkeit ist eher eine trotzige Forderung als eine Gewissheit. Die Teilhabe an der Welt und am Leben ist für Dari stets mit großer Anstrengung verbunden. Darüber hilft auch die Zärtlichkeit ihres Verlobten nicht hinweg, dem am Ende ohnehin nicht recht zu trauen ist. Dari ist gehörlos. Zugleich besitzt sie ein besonderes Talent, verschwundene Haustiere aufzuspüren. Ihre Spezialität ist das Auffinden entlaufener Katzen. Ohne Magie geht das nicht. "Haustier-Detektivin" steht auf dem Schild, das sie dabei trägt, mit dem Zusatz "Ich mache nur meine Arbeit."

Im Verlauf einer Suche begegnet sie Yoshikawa, der ebenfalls einen kuriosen Beruf ausübt: Sein Geruchssinn ist so ausgeprägt, dass er üble Alltagsgerüche (beispielsweise von Flüssen) entdecken und statistisch erfassen kann, bevor sie den Anwohnern zur Last fallen. Diese einsame Tätigkeit kommt dem Wesen des brüsk menschenscheuen Mannes entgegen. Die taube Frau fasziniert ihn auf eine zunächst verächtliche Weise. Leichtes Spiel hat er glücklicherweise nicht mit ihr. "Können Sie sich vorstellen, wie es ist, im Leben ständig um Erlaubnis fragen zu müssen?" herrscht sie ihn an, als er zudringlich wird.

Dieser Satz traf mich ins Mark, als ich ihn zum ersten Mal in Izumi Takahashis Forumsbeitrag Dari Marusan las. Er lässt mich über vieles hinwegsehen und -hören, was mir in dem Film als prätentiös oder allzu verspielt erschien. Yoshikawa ersucht bei dem Detektivbüro, für das Dari arbeitet, um Hilfe bei einem schier unlösbaren Problem: Er will den grünen Papagei wiederfinden, der vor zwei Jahren aus seinem Käfig fortflog. Dari nimmt den unmöglichen Auftrag ernst. Und zu diesem Zeitpunkt hat der Zuschauer längst genug Vertrauen in Daris Fähigkeiten gefasst, die Suche nicht als gänzlich aussichtslos abzutun.

In Takahashis Film will stets auf zwei Ebenen funktionieren. Alles ist hier bezeichnend, mit Bedeutsamkeit aufgeladen. Das fängt bei den absonderlichen Berufen an und hört bei der Entdeckung nicht auf, dass das Brechen von Gliedmaßen für manche Leute sexuelle Erfüllung bedeutet. Man muss das alles sehen, um es glauben zu können. Und selbst wenn man es nicht tut, sind derlei Absonderlichkeiten hinreichend in eine Filmsprache eingebettet, die den Sinneseindrücken eine ungekannte Rolle zuweist. Das Licht, das von Außen in die Räume dringt, ist in den Szenen mit Dari und ihrem Verlobten so gleißend, dass es gedämpft werden muss. Bei Takahashi wirken spezielle Kräfte der Synästhesie. Daris Gabe gehört gleichermaßen der Metaphorik wie der Einfühlung an. Eher geht es doch darum, weshalb der Papagei zu eben diesem bestimmten Zeitpunkt verschwand und welcher Seelennot seines Halters er damit Ausdruck verlieh. Blessuren lassen sich allerorten finden im Film. Es ist keine Gnade, aber auch keine Selbstverständlichkeit, wenn Yoshikawa am Ende zu Dari sagt, dass sie keine Erlaubnis zum Leben braucht.  

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