Wunder der Konzilianz

Sein Händedruck war weder kräftig noch ausweichend, er war leise. Ich nahm das als Ausdruck einer Freundlichkeit, die er breit streute. Bei den meisten Gelegenheiten, zu denen ich ihm begegnete, musste der am Sonntag verstorbene Hans Helmut Prinzler viele Hände schütteln.

In der Regel waren das Ausstellungseröffnungen im Filmmuseum, die alljährlichen Empfänge zur Retrospektive der Berlinale und nicht zuletzt deren Vorläufer, die legendären Partys, die Hans Helmut und Antje Goldau daheim in der Sybelstraße in betont familiärem Rahmen ausrichteten. Bei der Feier seines Abschieds vom Filmmuseum war die Schlange derjenigen, deren Hände er schüttelte, besonders lang. Da ich herausgefunden hatte, dass unsere gemeinsame Lieblingsszene aus Billy Wilders Filmen der Schluss von „Ariane – Liebe am Nachmittag“ war, schenkte ich ihm ein Faksimile der Drehbuchseiten. Ich fand, das passte gut zum Anlass: ein Abschied, der dann doch keiner war. Nach seiner Pensionierung wirkte er ja unvermindert weiter in der Kulturszene Berlins, etwa in der Filmabteilung der Akademie der Künste sowie als Kurator beim Hauptstadtkulturfonds. In den letzten Jahren waren es häufiger Beerdigungen, bei denen wir uns trafen.

Ich kannte seinen Namen schon lange, bevor ich ihn kannte. Als Leser natürlich, und auch, weil die Mentoren meiner münsteraner Zeit, Heinz-Gerd Rasner und Reinhard Wulf, ihn überaus schätzten. Sie hatten unter anderem das Interview mit Wilder für das Buch geführt, das die Stiftung deutsche Kinemathek 1980 zur Retro herausgab. „Billy Wilders Filme“ (im Kern eine Übersetzung von „Journey down Sunset Boulevard“ von Neil Sinyard und Adrian Turner) ist noch immer eines der besten deutschsprachigen Filmbücher überhaupt. Damals störte mich etwas, dass Prinzler und seine Mitherausgeberin Helga Belach im Vorwort einige „methodische Zweifel“ an der Herangehensweise der Briten anmeldete „und die Filme zum Teil anders bewerten würden.“ Aber diese Einschränkung wusste Hans Helmut wiederum einzuschränken, indem er die Gründlichkeit ihrer Untersuchung lobte und sie als Ansporn zur schöpferischen Auseinandersetzung annahm.

Er war ein Mensch des wohlerwogenen Wortes; auch dies Indiz einer umfassenden Freundlichkeit. Als ich ihn persönlich kennenlernte, leitete er die Publikationsabteilung der Kinemathek. Er wurde für mich zu der ersten Verkörperung einer Institution, die ich aus einem näheren Abstand erleben konnte: besonnen, diplomatisch, weitsichtig, auch gewährend. Das galt erst recht, als er 1990 die Nachfolge Heinz Rathsacks als Leiter der Kinemathek antrat. Fortan gewannen einige Kernthemen des Hauses - insbesondere die Beschäftigung mit dem Filmexil und die Filmarchitektur -, noch stärkeres Gewicht. Ich hatte den Eindruck, dass er der Institution ein neues Selbstbewusstsein verlieh. Es war ein serail. Wenn man einen Auftrag von ihr erhielt, also beispielsweise einen Beitrag zu Retro-Katalogen oder den Hommagen der Berlinale zu schreiben, hatte das immer den diskreten Beiklang eines Privilegs, das man sich verdient haben musste. Er war ein hervorragender Repräsentant der vorherigen Generation, von der ich lernen und die man hinterfragen konnte. Seine Cinéphilie galt vor allem dem Hollywood- und dem deutschen Kino (das Filmexil war dabei ein selbstverständliches, aber anderswo vernachlässigtes Bindeglied); daneben hatte auch Ozu seinen Platz; nicht zuletzt im Wortsinne der Prominenz, welche die schmucke, ruhige Montage von Szenenbildern aus dessen Filmen in seinem Büro einnahm. Damit erschöpfte sich der persönliche Kanon dieses begnadeten Vermittlers indes nicht, er sollte stetig ergänzt werden.

Den Umzug an den Potsdamer Platz, wo das Haus nach zwanzigjähriger Wartezeit endlich auch ein Filmmuseum werden konnte, überwachte Prinzler mit der gleichen Souveränität, wie ich sie einige Jahre später bei Serge Toubiana erlebte, der die Cinémathèque francaise in ein neues Zuhause und eine neue Dimension führte. Mit einem Mal wurde die Kinemathek zu einem großen Organismus, der einen schwindelerregenden Zuwachs an Personal, bürokratischen Strukturen, Aufgaben und Möglichkeiten bewältigen musste. In seiner neuen Aufstellung profitierte es noch einmal enorm von Prinzlers Vernetzung und Umsicht. Er konnte Türen öffnen. Und wer gleichermaßen mit Moritz de Hadeln und Dieter Kosslick auskommen konnte, musste schon ein gewiefter Diplomat sein. In ihrem Nachruf gibt Marion Löhndorf einen schönen Überblick über seine Tätigkeiten und Verdienste. Hans Helmut Prinzler hat sein Haus gut bestellt.

Nach seiner Pensionierung kam ihm die ausgezeichnete Idee, seine eigene Website einzurichten. Er erfand sich neu, indem er zu einer frühen Liebe zurückkehrte, die er nie vernachlässigt hatte: der Filmliteratur. Auf hhprinzler.de sammelte er Reden und Artikel, wies auf anstehende Ereignisse hin und veröffentlichte unermüdlich Buchrezensionen. In diesem Forum zeigte sich erneut das Gewährende seines Tons und seiner Haltung; kritische Anmerkungen betrafen allenfalls die Qualität von Abbildungen. Er war ein großzügiger, wachsamer Chronist, er vermittelte, lenkte den Blick auf Entlegenes und mit ebensolcher Neugierde auf Vertrautes. Besondere Aufmerksamkeit verschaffte er dem „Filmbuch des Monats“. Wenn er genauer auf Bücher einging, war das für sich schon ein Adelsprädikat. In den letzten Wochen erschienen die Einträge in längeren Abständen. Nach kurzer, schwerer Krankheit hinterlässt er hier, neben dem Filmmuseum und seinen historisch bedeutsamen Veröffentlichungen, eine weitere Schatzkammer der Entdeckungen.

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