Leise und laute Töne

Stummfilmfreunde stehen in Berlin heute Abend vor einer monumentalen Wahl. Sie können sich zwischen »J' accuse« (Ich klage an) von Abel Gance im Konzerthaus am Gendarmenmarkt oder »Metropolis« im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz entscheiden. Auf den ersten Blick fällt die Wahl leicht, auf den zweiten Blick wird es kompliziert, aber auf den dritten ist alles klar.

Fritz Langs Science-Fiction-Epos kann man in Berlin alle Nase lang sehen; zumal in eben jenem Kino, das ihn gefühlt im wöchentlichen Wechsel mit »Berlin - Sinfonie einer Großstadt« zeigt. Die Vorführungen werden immer breit in den U-Bahnstationen beworben und ich stelle mir sie als rechte Touristenfallen vor. Gance' Antikriegsdrama ist ohnehin der interessantere Film, was übrigens nicht zwangsläufig heißt, dass er besser gealtert ist.

Die heutige »Metropolis«-Vorführung weist allerdings eine Besonderheit auf. Same, same, but differentDas Babylon Orchester Berlin bringt die Musik von Gottfried Huppertz in einer Fassung für Salonorchester zu Gehör, die Dirigent Ben Palmer und künstlerischer Leiter Hans Brandner nach der Partitur und des Komponisten sowie weiteren Quellen rekonstruiert haben. Same same, but different? Es drängt indes nicht, denn am 30. 6. und 2.7. folgen weitere Aufführungen.

»J' accuse« hingegen läuft im Konzerthaus mit einer neuen Filmmusik, die der Niederländer Cord Meijering 2020 komponiert hat. Wenn ich eingangs vom Veralten schrieb, hatte ich bereits die Möglichkeit der stetigen Auffrischung im Sinn: Kaum ein anderer Film eignet sich so sehr dazu, von Musik klangberedt vollenfden zu lassen. Zwischen ihm und diesem Ort besteht eine enge Verbindung. Im September 2018, also fast pünktlich zu seinem 100. Jubiläum lief Gance' Meisterwerk hier während des Musíkfestes mit einer Partitur, die Philippe Schoeller wiederum zu einem Jahrestag (des Kriegsausbruchs, siehe Eintrag „Geschichtsschreibung im Eiltempo“ vom 11. 11. 2014) komponiert hat. Nun erwartet das Publikum am Gendarmenmarkt ein ganz anderes Klangerlebnis: keine Komposition für großes Orchester, sondern 13 Instrumente. Auch der Rahmen ihrer Uraufführung ist intimer, Christoph Breidler dirigiert das Ensemble United Berlin im kleineren, dem Werner-Otto-Saal des Konzerthauses. Auf seiner Website stimmt der Komponist darauf ein, fast verträumt: https://www.meijering.de/page0/page19/page-7/  Keine lautstarke Anklage, sondern eine stille Kontemplation. 

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