Erzählungen unter dem Dürremond

Das ehrwürdige Genre des japanischen Geisterfilms hat eine natürliche Affinität zum Wasser. Quellen, Brunnen und Sümpfe gelten ihm als Ursprünge des Lebens, während in den Tiefen der Gewässer bedrohliche Kräfte schlummern. Kaum ein Film verbindet sich verbindet sich so schicksalhaft mit diesem Element wie »Demon Pond« von Masahiro Shinoda.

In der Provinz, die der Lehrer Yamazawa im Sommer 1933 besucht, herrscht eine andauernde Dürre. Das Dorf, auf das er in den Bergen stößt, scheint bereits aufgegeben worden zu sein. Keine Menschenseele ist weit und breit zu sehen, bis zwischen den Reetdachhäusern eine Prozession auftaucht, die nach altem Ritus um Regen bittet. Dabei gäbe es in der Nähe Wasser in Hülle und Fülle: im Dämonenteich, den die Dorfbewohner aber fürchten, weil an seinem Grund der Legende nach ein Drache haust. Zwischen diesen beiden Extremen liegt indes ein Bach, der im Wald verlockend dahin rieselt. Da er mit dem Teich verbunden ist, meiden ihn die Bewohner ebenfalls. Der arglose Wanderer folgt hingegen dem sanften Plätschern und erblickt eine Frau, die vor ihm kauert. Der Film entdeckt sie uns zunächst in einer lang anhaltenden Rückenansicht. Verträumt sinniert sie über das Klingeln, das ertönt, wenn das Wasser über die Kiesel fließt. Ihre Stimme klingt in Yamazawas Ohren wie die einer älteren Frau. Um so überraschter ist er, als sie ihm endlich ihr Antlitz zuwendet: Sie ist jung und von überirdischer Schönheit. Fürwahr, es hat ihn an einen verwunschenen Ort verschlagen. Sein Kompass zeigt plötzlich in alle Richtungen.

»Demon Pond« von 1979, den Rapid Eye Movies in dieser Woche in ihrer „Zeitlos“-Reihe herausbringt, ist ein Film der Stunde - nicht nur der Wetterextreme wegen, die derzeit nur die Wahl zwischen Trockenheit oder Überschwemmung kennen (ein kurzer Schauer zwischendrin bringt auch im Film nicht viel); sein Thema der Ausgrenzung und einer von politischer Demagogie geschürten Massenhysterie sind unserer Gegenwart ebenfalls nicht fremd. Veraltet wirkt allenfalls die Synthesizer-Partitur von Isao Tomita. Die Spezialeffekte der mächtigen Springflut hingegen dürften 1979 in Japan auf der Höhe der Zeit gewesen sein. Er sei Ihnen also dringend empfohlen: Derzeit läuft er unter anderem in Berlin, Erlangen, Kassel und Saarbrücken, demnächst auch in Hamburg und Essen.

Angesichts der Resonanz, die die Reprise von Shinodas »Pale Flower« im vergangenen Monat hatte, mag man sich fast wie in Frankreich fühlen: Sogar die Feuilletons der überregionalen Zeitungen nahmen Notiz von dieser filmhistorischen Trouvaille - und bei »Demon Pond« ziehen sie nun nach. Viele Gemeinsamkeiten wird man nicht zwischen beiden Filmen entdecken; Shinoda war der vielseitigste, der unbestimmteste unter den Protagonisten der Neuen Welle. Diesmal hat er ein fantastisches Kabuki-Stück von Kyoka Izumi adaptiert. Die geheimnisvolle Waldbewohnerin Yuri wird von Tamasaburo Bando V. verkörpert, einem der gefeierten Frauendarsteller dieser Bühnentradition. Der legendäre „onnagata“ tritt noch in einer zweiten Rolle als rachsüchtige Prinzessin auf, die ebenfalls im Dämonenteich gefangen ist und die Menschen verachtet.

„Demon Pond“, dessen 4K-Restaurierung vor zwei Jahren bei den "Cannes Classics" Premiere feierte, schert erstaunlich selten aus den Konventionen des Geisterfilms aus. 1979 befand sich das Genre bereits im Niedergang Takashi Miikes Neuverfilmung hingegen kam 2005 pünktlich zu dessen neuer Blüte heraus), was Shinoda indes nicht zu einer rigorosen Revision ermutigt. Seine Ehrfurcht gilt womöglich weniger dem Genre selbst, sondern verdankt sich seiner Verehrung für Kenji Mizoguchi, der 1953 mit »Ugetsu monogatari« (Erzählungen unter dem Regenmond) dessen Grundstein legte. Im Interview, das sich unter dem Titel „Two Worlds intertwined“ im Bonusmaterial der Edition der Criterion Collection findet, beschreibt er den Schock, in den ihn Mizoguchis Bruch mit den Regeln des Realismus versetzte. Bis dahin war er überzeugt, dass das Kino ein Abbild der Welt zeigen solle und das Fantastische vor allem eine Domäne der Literatur sei. In »Ugetsu« hingegen ist das Übernatürliche ein fester Bestandteil der Welt und sind Diesseits und Jenseits gleichberechtigte Wirklichkeiten. Ganz geheuer ist das Shinoda nicht, - er beharrt auf einer Abgrenzung der Sphären und entdeckt eine stilistische Spannung zwischen den verschlungenen Plansequenzen der fantastischen Szenen und dem beinahe dokumentarischen Gestus der "realen", in denen der Regisseur seine Lehren aus dem italienischen Neorealismus zieht.

In »Demon Pond« vollzieht Shinoda diese Binnenspannung nach, in dem er das Reich der Wassergeister mit nachdrücklich theatralen Dekors und Kostümen drapiert. Auch das Spiel ist dort stilisierter. Verflochten sind beide Welten dennoch bei ihm, denn er besinnt sich auf die Wurzeln des Geisterfilms, die im ländlichen Volksglauben liegen, dem Shintoismus, für den die Natur beseelt ist und ihre Ereignisse mit den Menschen kommunizieren. Den Dämonenteich gibt es übrigens tatsächlich, laut Wikipedia liegt er im Grenzbereich zweier Provinzen.

Die Gebote des Realismus' unterläuft Shinodas Montage schon zu Beginn überaus subtil, als Yamazawa eine Hängebrücke überquert, unter der jener Zug hindurchfährt, in dem der Reisende eigentlich noch sitzen müsste. Durch welch ungesicherte Wirklichkeit er sich fortan bewegt, wird spätestens deutlich, als er Yuri begegnet, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Die Dorfbewohner sagen ihr nach, sie sei ein Reptilienwesen, was Shinoda jedoch in der Schwebe hält, denn er weigert sich standhaft, sie eindeutig als Geist zu zeichnen. Sie bewirtet den Wanderer mit gekühlten Birnen, für die sie als Gegenleistung einzig verlangt, dass er ihr eine Geschichte erzählt. Dem Gast, der eher prosaischen Gemüts ist, fällt aber keine ein. Die Rationalität des Lehrers steht ohnehin auf verlorenem Posten in diesem Ambiente.

Sie fügt sich rätselhaften Gesetzen. Wie sonst ließe es sich erklären, dass er in Yuris Ehemann unversehens seinen ehemaligen Studienfreund Akira wiedererkennt? Er ist der Großstadt abhanden gekommen, aus Liebe zu ihr, aber auch, weil er ein metaphysisches Mandat geerbt hat: Dreimal am Tag muss er die Glocke schlagen, um den Drachen im Teich zu bannen. Er hält das Gleichgewicht zwischen den Sphären aufrecht. Akira willigt ein, den alten Freund in der schönen Mondnacht zum legendären Teich zu führen: "Wasser ist immer faszinierend.". Unterdessen stachelt ein Regierungsbeamter die Dorfbewohner an, die Naturgewalten mit einem Menschenopfer zu besänftigen. Rasch wird Yuri dazu auserkoren, als die schönste der Frauen im Dorf und verfemte Außenseiterin. Der Mob bricht, trunken von Sake und Aberglauben, auf. Werden die Freunde rechtzeitig zurückkehren, um die drohende Katastrophe abzuwenden? Die Katharsis, auf die »Demon Pond« zusteuert, sucht ihresgleichen im Genre.

 

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