Kein Raum-Zeit-Kontinuum

»Valerian – Die Stadt der tausend Planeten« (2017). © Universum Film

Dem Vernehmen nach – und erst recht, wenn man Luc Besson Glauben schenkt - ist »Valerian – Die Stadt der tausend Planeten« der teuerste Film, der bisher in Europa produziert wurde. Bei einem Budget von angeblich 180 Millionen Euro steht eine Menge auf dem Spiel. Wenn Besson sich Sorgen machen sollte, ob die Comic-Verfilmung über Wohl und Wehe seines Studios EuropaCorp entscheidet, dann verbirgt er das gut. Allerdings hat er die Kosten im Vornherein gesenkt, da er selbst auf seine Gage als Autor, Produzent und Regisseur zugunsten einer Beteiligung am Einspiel verzichtete.

Er hätte ihn auch umsonst gedreht, behauptet er in Interviews, würde sich eventuell gar schuldig fühlen, Geld zu kassieren dafür, dass er sich einen Jugendtraum erfüllte Die Science-Fiction-Saga von Jean-Claude Mezières und Pierre Christin muss zu den großen Erweckungserlebnissen des späteren Filmemachers Luc gezählt haben. Indem er das damalige Feuer nun wieder entfacht, geht er womöglich ein größeres Risiko ein, als es das Budget darstellt. Die jugendliche Comic-Begeisterung hält den Jahrzehnten nicht immer stand. Die Nostalgie ist anspruchsvoll und launisch. Die Utopie offener Gesellschaften, die seit 1967 in den Bildergeschichten des Duos visuelle Form annahm, hat freilich heute noch große Anziehungskraft. Der Untertitel ist in dieser Hinsicht ziemlich genial.»Valerian und Veronique« (im Original heißt sie Laureline) war damals eine von wenigen Science-Fiction-Serien, während diese heute, zusammen mit diversen Fantasy-Stoffen, gut 40 Prozent des französischen Comicmarktes ausmachen.

Auf den immensen Einfluss der Serie werde ich noch zurückkommen. Vorerst interessiert sie mich im Kontext der großen Zeit der frankobelgischen Comic-Schule in den 1960ern. Kennengelernt hat meine Generation diese Tradition mit einiger Verspätung und vor allem dank einer Zeitschrift, die den vielleicht gar nicht so dummen Titel »Zack« trug. Allmonatlich fieberten meine engsten Schulfreunde und ich dem Erscheinen des nächsten Heftes entgegen. Sie hatte ein ähnlich anthologisches Konzept wie »Tintin«, »Spirou« und »Pilote« in den Herkunftsländern: Es gab eine Vielzahl von Geschichten in Episodenform. Wenn wir Feuer fingen, holten wir sie uns später als Alben. Damals galten Comics in der westdeutschen Provinz noch als Schundliteratur. Das war ein großes Glück für uns. So stand unser Enthusiasmus im Zeichen eines eigensinnigen Bildungsprozesses und durften wir uns sogar als Teil einer aufsässigen Jugendkultur fühlen. Aber vor allem hatten wir ein Gebiet gefunden, dem wir uns mit verschwörererischer Gewissenhaftigkeit widmen konnten.

Wenn wir uns nach Schulschluss trafen, wurde ausführlich über die Vorzüge der Zeichenstile von Hermann (Huppen) oder Jean Giraud, von Steve Ditko oder Jack Kirby debattiert. Mit Hugo Pratts Linienführung konnte wir zunächst noch nichts anfangen (und für den erotischen Zauber von Guido Crepax' »Valentina« waren wir noch zu jung.) Meine Freunde waren allesamt gute Zeichner und ihre Neugierde erstreckte sich auch auf die Superheldencomics von DC und vor allem Marvel - damals noch kein Universum, und Stan »The Man« Lee haftete noch das Flair smarter Gegenkultur an; erst später sollte man erfahren, wie schamlos er seine kreativsten Mitarbeiter ausbootete. Mein Verhältnis zur amerikanischen Tradition war platonischer. Die Einsamkeit des Silver Surfer fand ich allerdings verlockend. Unsere Begeisterung für Bildgeschichten verband sich selbstverständlich mit der für das Kino. Wir wussten bereits, dass Blueberrys Antlitz Jean-Paul Belmondo nachempfunden war und stellten voller Genugtuung fest, dass zahlreiche Motive aus »Rio Bravo« in sein Abenteuer »Der Sheriff« eingeflossen waren.

Ich hätte ohnehin gern die Abenteuer einiger dieser Helden auf der Leinwand gesehen, zuallererst von Andy Morgan (der rätselhafterweise im Original Bernard Prince hieß), Bruno Brazil und dem Westerner Red Dust aus »Comanche«. Mir gefiel der eminent internationale Handlungsradius dieser europäischen Geschichten. Noch heute bin ich der Ansicht, dass es zu wenig Thriller über Interpol-Beamte gibt. Von „Michel Vaillant“ gab es nur eine Zeichentrickserie, deren einfacher Animationsstil (ich glaube, sie wurde in Japan produziert) uns nicht zufriedenstellte. Auf die große Leinwand schafften es seinerzeit nur die lustigen Serien: »Asterix« und »Lucky Luke« (gelegentlich auch ein Abenteuer von Tim und Struppi), die auch im Kino eine verlässliche Familiarität gewannen.

Die »realistischen« Abenteuergeschichten mit ihrer eher nüchternen Linienführung schafften es nicht dorthin. Erahnte ich damals schon das Potenzial für ein pan-europäisches Genrekino, das hier brach lag? Die ungewaschenen, aber im Bodenssatz idealistischen Helden von Jean Giraud und Hermann (gestern kam mir zum ersten Mal seit Jahrzehnten auch »Manos Kelly« aus Spanien wieder in den Sinn) wären eine prächtige Alternative zum Italowestern gewesen. Natürlich hätte die Freizügigkeit, mit der Andy Morgan und Bruno Brazil zu Schauplätzen in aller Welt reisen, nach erklecklichen Budgets verlangt. Und eine Filmversion der Abenteuer der Fliegerstaffel von »Mick Tanguy« (im Original »Tanguy et Laverdure«) wäre nicht ohne großzügiges Entgegenkommen der französischen Luftwaffe vorstellbar gewesen.

Die Blüte des europäischen Comics im Pop-Zeitalter indes spiegelt sich in nur wenigen Verfilmungen, darunter »Barbarella« und »Gefahr: Diabolik« von Mario Bava, die der sparsame Dino de Laurentiis gleich hintereinander, unter Wiederverwendung eines Gutteils der Darsteller und Dekors, produzierte. Bavas Film ist neben Ang Lees Version von »Hulk« eine der wenigen Adaptionen, die tatsächlich ein filmisches Äquivalent zum Layout und insgesamt zur Ästhetik von Comics suchen. Erfreulicherweise bildet er den Auftakt der vierten Ausgabe des Festivals »Terza Visione«, die das Filmmuseum in Frankfurt dem italienischen Genrekino widmet. Die Verfilmung des fumetto (fürwahr, ein hübscher Name, den die Italiener für das Medium fanden: »Rauchwölkchen«) über den Meisterdieb Diabolik hatte übrigens der resolute Seth Holt (»Ein Toter spielt Klavier«) begonnen, der dann aber abgelöst wurde. Wie der britische Regisseur diese Bilderwelt vorstellte, hätte ich fast ebenso gern gesehen. Aber dies ist ohnehin eine Geschichte der ausgeschlagenen Chancen. Morgen werde ich sie weiter erzählen.

 

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