Kritik zu The Broken Circle

© Pandora

Eine große, ungewöhnliche Liebe – und wie sie am Tod des gemeinsamen Kindes zerbricht. In einer Tragödie, die zugleich fast ein Musical ist, reflektiert Felix van Groeningen über Erfüllung und Verlust

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Kaum ein Film dürfte die Zuschauer auf der diesjährigen Berlinale zu ähnlich vielen Tränen gerührt haben wie der belgische Panoramabeitrag The Broken Circle. Der emotionalen Wucht dieses Dramas kann man sich in der Tat kaum entziehen, und das liegt vor allem daran, dass es so offensiv mit großen Gefühlen umgeht, wie es sich ein handelsübliches Rührstück kaum erlauben würde. Das Ergebnis ist interessanterweise kein Kitsch, denn dafür ist der Film zu klug.

Felix van Groeningen erregte bereits 2009 mit Die Beschissenheit der Dinge einige Aufmerksamkeit. Spätestens mit seinem neuen Werk erweist er sich als herausragendes Talent des belgischen Kinos. Er erzählt eine einfache Geschichte: von einer Liebe auf den ersten Blick zwischen dem Bluegrassmusiker und Amerika-Fan Didier, der in einem Wohnwagen lebt, und der Tattookünstlerin Elise, Besitzerin eines eigenen Studios und selbst über und über mit Tätowierungen bedeckt. Zwei unkonventionelle Menschen, jeder auf seine eigene Art ein starker Charakter. Elise steigt als Sängerin in Didiers Band ein, dann wird sie schwanger, die beiden renovieren ein altes Bauernhaus, und als die Tochter Maybelle da ist, scheint das Glück perfekt – ein Glück mit gewöhnlichen Höhen und Tiefen, getragen vom Gefühl der Zusammengehörigkeit und Geborgenheit. Bis Maybelle im Alter von sechs  Jahren an Krebs erkrankt. Der Beginn einer Tragödie mit beträchtlicher Fallhöhe.

Nicht nur, dass die Hauptfiguren mit ihrem alternativen Lebensstil weit entfernt sind von den üblichen, meist bürgerlichen Protagonisten thematisch verwandter Dramen, auch die Dramaturgie von The Broken Circle ist eigenwillig, so kunstvoll wie unmittelbar: keine lineare Abfolge von Hoffnungsmomenten und Rückschlägen, sondern ein fragmentiertes, lyrisch verknüpftes Schweifen zwischen verschiedenen Zeitebenen. In den großartig montierten Ellipsen und Erinnerungssprüngen ist die Katastrophe schon dem Anfang eingeschrieben – so wie das Glück noch im desaströsen Ende mitschwingt.

Der Bluegrass, den die beiden mit der Band spielen, bildet dabei eine eigene Erzählebene. In allen Phasen ihrer Beziehung sehen wir Elise und Didier auf der Bühne beim Singen und Spielen, und in den Songs spiegeln sich der Stand der Dinge, die Lage der Gefühle. Den Zuschauer nehmen sie so mit auf eine Reise durch einen ganzen Kosmos von Stimmungen. Beinahe wie in einem Musical strukturieren die einfachen, mitreißenden Lieder diesen Film, was zu einem großen Teil seine Sogwirkung ausmacht.

Es gibt nur wenige Szenen, die in The Broken Circle zu ostentativ geraten sind und daher sentimental wirken. Von diesen Momenten abgesehen hält er stets eine souveräne Balance zwischen Einfühlung und Nachdenklichkeit, spricht sehr direkt das Gefühl an, ohne den Verstand zu suspendieren. Neben den dramatische Szenen findet die Inszenierung realistische, auch komische Alltagsminiaturen, hin und wieder Metaphern für die Unabwendbarkeit von Verlust und Trauer. Die Bilder sind einfach, aber nicht banal, wie etwa das des Vogels, der gegen ein Fenster geflogen ist un dessen leblosen Körper die kleine Maybelle fassungslos in Händen hält. Ein Ende, so zufällig und sinnlos wie es ihr eigenes sein wird.

Die wunderbaren Hauptdarsteller Veerle Baetens und Johan Heldenbergh, auf dessen Theaterstück der Film auch basiert, lassen das Bild eines Paars entstehen, dessen Unterschiede anfangs ihre Anziehung verstärken, unter der Last der Verzweiflung aber tiefe Gräben aufreißen: Der atheistische, sehr bodenständige Didier klammert sich an seiner Rationalität fest, die ihm doch keinen Halt zu geben vermag und seine blinde Wut gegen das Schicksal noch verstärkt. Elise sucht Trost in einer Art Kinderglauben, um dem Tod die Endgültigkeit zu nehmen, und sie versucht sich selbst neu zu finden, ja zu erfinden – doch so stark sie zwischenzeitig scheint, so zerbrechlich ist letztlich auch sie. Die Verzweiflung dieser beiden im Lauf des Films so lebendig werdenden Charaktere ist schwer zu ertragen. Und doch ist The Broken Circle mindestens ebenso sehr ein Film über das Glück wie über dessen Vergänglichkeit. Das macht ihn nicht unbedingt tröstlicher, aber es verleiht ihm eine sinnliche Kraft, die lange nachwirkt.

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