Nachruf: Kenneth Anger

Kult & Fetisch
Kenneth Anger

Kenneth Anger

3.2.1927 – 11.5.2023

Manchen gilt die Undergroundikone Kenneth Anger als ein Pionier des queeren Kinos – dabei war dieser Begriff noch lange nicht etabliert, als er 1947 begann, mit dem Kurzfilm Fireworks seinen homoerotischen Fantasien und Fetischen bildgewaltig Ausdruck zu verleihen. Begehren, Travestie und Gewalt bestimmten seine oft experimentellen Montagefilme, in denen nie ein gesprochenes Wort erklingt: Vielmehr vertraute Anger auf die Kraft der Musik, klassisch wie populär. Kenneth Anger, geboren unter dem Namen Anglemyer in Kalifornien, wuchs am Rande Hollywoods auf und war stets fasziniert von der Traumfabrik, der er mit der Mythensammlung »Hollywood Babylon« (1959) ein reich bebildertes Denkmal setzte. Er selbst arbeitete früh schon am eigenen Mythos, behauptete etwa, als Kind bei Max Reinhardt gespielt zu haben. Ein wesentlicher Einfluss für ihn war der britische Okkultist Aleister Crowley, dessen Spur Anger bis nach Sizilien folgte, wo Crowley die Abtei Thelema auf Céfalu betrieben hatte. Anger rekonstruierte dort die Wandbilder des Magiers. Crowleys Ansatz motiviert zur Suche nach dem »wahren Willen« (»Thelema«), woraus Anger sein Leben lang kreative Energie bezog, auch wenn der okkulte Einfluss nicht in all seinen Filmen spürbar ist. 

Seine Zeit in Europa brachte ihn auch nach Paris, wo er Edith Piaf, Jean Genet und vor allem Jean Cocteau kennenlernte. Mit Cocteau verbindet Anger eine morbide Poesie, eine sehnsüchtige Verschlingung von Leidenschaft und Todesnähe. In den 1950er Jahren suchte er in meditativen wie rituellen Filmen wie »Eaux d’artifice« (1953) oder »Inauguration of the Pleasure Dome« (1954) nach melancholischem Ausdruck dieser Verbindung. Danach wurde sein Stil ekstatischer und populärer.

Zu Beginn der 1960er Jahre verarbeitete Anger Erfahrungen und Eindrücke, die er bei dem Bikerclub Hell’s Angels in Kalifornien gesammelt hatte, in dem ironischen Passionsspiel Scorpio Rising (1963), das einerseits die Rebellenidole der 1950er Jahre reflektierte und andererseits die Stereotypen und Fetische des späteren Bikerfilms vollständig vorwegnahm. Anger nutzt die Montage im streng intellektuellen Kontext und weckt Erinnerungen an Sergej Eisensteins Montage der Attraktionen. Eine rhythmische Montage, die mit den Popsongs korrespondiert, scheint sich zwar anzubieten, wird aber anders als in späteren Musikvideos unterlaufen. Im Gegensatz dazu kommt den Pop- und Rocksongs kommentierende Bedeutung zu. Die Sogwirkung entfaltet sich auf der Ebene des bewussten, assoziativen Sehens. Der Skorpion ist in diesem Kontext als phallisches Segmentgeschöpf ein Symbol für »Thanateros«, die Verschmelzung von Eros und Thanatos, Lust und Tod. Er umklammert die Verbindung zwischen Hell’s-Angels-Kult, kindlicher Zerstörungswut, Fetischsex, Männerbund und Faschismus. Die Verführung zum Tod wird realer und im letzten Teil gar historisch lokalisiert. Susan Sontag verweist in dem Essay »Fascinating Fascism II« auf diesen Film als einen der wenigen gelungenen Versuche, einen Zusammenhang zwischen Dominanzlust, Faschismus und Sexualität zu visualisieren.

Angers zentrale Werke wurden »Magick Lantern Cycle« genannt und von seinem letzten verbreiteten Film »Lucifer Rising« (1970, vollendet 1980) gekrönt, in dem er an internationalen Ritualorten wie den Externsteinen oder dem Tal der Könige mit den Popstars Marianne Faithfull und Jimmy Page sowie dem Filmemacher Donald Cammell drehte. Eine erste Version gilt weitgehend als verloren und wurde teilweise in »Invocation of my Demon Brother« (1968) verarbeitet, in dem Anger selbst, Mick Jagger und Anton LaVey, der Gründer der Church of Satan, zu sehen sind. Page von Led Zeppelin sollte die Musik zu »Lucifer Rising« komponieren, doch nach einem Streit sprang Bobby Beausoleil, ehemaliges Mitglied der Manson Family, ein und nahm einen heute legendären Score im Gefängnis auf. Lucifer Rising kann als rituelle Beschwörung des Lichtgottes Lucifer gesehen werden, der im Finale des Films als Ufo-Formation erscheint.

Die offensive okkulte Ikonografie der späten Filme Angers gilt als kontrovers, doch sein Werk steht bis heute singulär zwischen Camp, Fetischismus, Hollywoodmythen und Pop-Okkultismus – und zweifellos »queer« zum Mainstream. Kenneth Anger starb mit 96 Jahren in Los Angeles – mit einem großen »Lucifer«-Tattoo auf seiner Brust.

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