Kritik zu Wintergast

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In ihrem ersten Langfilm wagen sich die Schweizer Filmemacher Andy Herzog und Matthias Günter an eine selbstreflexive Geschichte über einen prokrastinierenden Filmemacher. Ein schwarz-weißes Roadmovie zwischen Dokumentation und Fiktion

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Stefan Keller ist ein Verlierer. Ist Stefan Keller ein Verlierer? Zu Beginn von »Wintergast« feiert er einen Erfolg, sein kurzer Abschlussfilm an der Filmhochschule wird preisgekrönt. Er wird beklatscht, bejubelt, bewundert, eine Produzentin ist begeistert und ein Vertrag wird abgeschlossen. Karriere, Ruhm und Ehre sind in Griffweite, nur das Drehbuch muss noch geschrieben werden.

Schwarzblende. Filmtitel. Fünf Jahre später. Winter. Stefan Keller, mittlerweile 39 Jahre alt, ist über den ersten Satz noch immer nicht hinausgekommen. Die Hausverwaltung fordert ausständige Miete, der Vater kündigt die Unterstützung auf, die Produzentin will zu Neujahr den Vertrag auflösen, die Freundin hat sich eine Auszeit genommen. Keine rosigen Aussichten. Passenderweise haben Andy Herzog und Matthias Günter ihren Film in Schwarz-Weiß gedreht. Gestochen scharf sind die Bilder, auf dass einem auch bestimmt kein Quentchen und keine Nuance von Stefan Kellers zunehmend aussichtsloserem Kampf um Würde, Respekt und Selbstachtung entgehe.

Aus purer Geldnot nämlich ist die einstige Hoffnung des Schweizer Films nunmehr dazu gezwungen, sich als Jugendherbergstester zu verdingen. Viel los ist nicht während der Weihnachtszeit und um den Jahreswechsel und in der Ödnis der Unterkünfte scheint die Leere in Kellers Gehirn ihre äußere Entsprechung zu finden. Von Herzog und Günter wiederum wird sie in klar strukturierte, weiträumige Tableaus gefasst. Die Schauplätze gleichen sich: Mehrbettzimmer, Waschräume, Kantinen, Gasthäuser, Diskotheken, Züge, Busse, Bahnhöfe. Unterwegs von Zürich nach Genf, quer durch die winterlich verschneite Schweiz mit ihren spektakulären Bergpanoramen, tut sich auch stimmungsmäßig nicht viel: Fadesse, Ennui, Lethargie, belanglose Gespräche und oberflächliche Begegnungen. Und doch! Koregisseur Andy Herzog spielt den totalblockierten Antihelden dieses tragikomischen Roadmovies mit beeindruckender Überzeugungskraft; dergestalt, dass jeder, der schon einmal etwas vor sich her geschoben hat, gar nicht anders kann, als Mitgefühl mit dem armselig nervenden Wicht zu haben. Er soll es doch bitte endlich hinter sich bringen, ganz egal wie. Weil es einfach nicht mehr zum Mitanschauen ist! Wie er da zum Beispiel in einer Art Lesesaal Stuhl, Computer, Notizen, Stift zurechtrückt und zurechtrückt und erneut zurechtrückt, bis er sich schließlich in Positur setzt – Achtung! Gleich geht's los! Aber sowas von! –, nur um sodann wieder aufzustehen und tumb in einen Schaukasten zu glotzen.

Der filmischen Bewegung durch das Land zum Trotz herrscht in der zentralen Figur ein tödlicher Stillstand; gelähmt von hohen Erwartungen – den eigenen, jenen der Familie, der Freunde, der Kollegen – ist der Wintergast ein Zaungast des eigenen Daseins geworden, eine Verhärtung an der Schnittstelle zwischen Ich und Welt, der unterwegs zwar in vielfacher Gestalt das Leben begegnet, die aber diese Begegnung nicht erwidern kann. Bis endlich der Knoten platzt – und sich die Frage nach dem Wesen eines Verlierers noch einmal neu und anders stellt.

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