Kritik zu T2 Trainspotting

© Sony Pictures

20 Jahre später: Danny Boyle erzählt von der Wiederbegegnung seiner Helden von einst nicht als beschauliches Klassentreffen, sondern als tumulthaftem Zusammenstoß von Feindschaft und Zusammengehörigkeit, von alten Enttäuschungen und neuen Auswegslosigkeiten

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Man muss es einmal so sehen: Ein Sequel zu drehen, ist immer eine Provokation. Die Rede ist nicht von den »Franchises«, den Young Adult- oder Comicverfilmungen, denen die eigene Serialität schon eingeschrieben ist. Nein, man nehme ein Kulturereignis wie Danny Boyles »Trainspotting« von 1996. Dazu ein »20 Jahre später« zu liefern, löst Irritationen aus. Und Ängste: was, außer der unangenehmen Erkenntnis, dass »wir alle älter werden«, kann sich aus einem solchen Film ergeben? Zumal keiner der Jungs aus Trainspotting sich auf einem vielversprechenden Lebensweg befand. Im Gegenteil, dass alle vier Hauptfiguren überhaupt bis heute überleben werden, schien angesichts ihrer Drogensucht eher unwahrscheinlich.

Die Überraschung, sowohl Renton (Ewan McGregor) als auch seine Ko-Abhängigen »Spud« (Ewen Bremner) und »Sick Boy« (Johnny Lee Miller) und sogar den zwar drogenfreien, aber deshalb nicht weniger gefährdeten Soziopathen Begbie (Robert Carlyle) als ältere Männer zu sehen, geht für den Zuschauer in »T2« mit einem Schock einher: Der Erkenntnis, wie lange das alles her ist! »Trainspotting«, der Film, sein legendärer Soundtrack und sein nicht minder legendäres »Post-Punk«-Lebensgefühl! Er beschrieb das Edinburgh und Großbritannien der Mittneunziger alles andere als idyllisch, aber wie niedlich erscheint diese Perspektivlosigkeit heute! Andererseits gehört kaum etwas so sehr in unsere aktuelle Zeit wie dieses reflexhafte Zurückschauen und Feststellen, wie anders alles geworden ist. Was »T2« mit angemessener Ironie widerspiegelt. An einer Stelle betrachten die beiden Mittvierziger Renton und »Sick Boy« (der nun Simon heißt) mit einer 20-Jährigen zusammen Dias aus ihrer gemeinsamen Kindheit. Wie besessen springen sie immer wieder auf, um ihr Dinge auszudeuten: »Schau, es gab damals keine fetten Leute! Keine!«

Im Kontrast zu diesem Gefühl von großen Veränderungen steht die Tatsache, dass sich die Hauptfiguren eigentlich kaum gewandelt haben. Die Handlung schließt zudem unmittelbar an das Ende von 1996 an: Renton, Spud, Simon und Begbie haben sich seither nicht wiedergesehen; Rentons Betrug an den Freunden ist allen noch im Gedächtnis. Zwar ist nur Spud dem Heroin treu geblieben, aber angenehme Zeitgenossen sind auch Renton oder Simon nicht geworden. Begbie sitzt zu Beginn des Films im Gefängnis, wo sonst. Dieselben Typen also, nur älter und eben in der Gegenwart – darauf scheint Danny Boyle mit diesem Sequel aus zu sein. Es hört sich bescheiden an, aber Boyle macht daraus erstaunlich viel.

Wie schon das Original reiht auch »T2« Anekdote an Anekdote, die meisten davon voll bitteren Humors und erschreckendem Realismus. Die sozialen Wohnbauten von einst sind wie ausgebombte Ruinen inszeniert, samt Trümmerhaufen und am Horizont aufscheinender Gentrifizierung. Wenn Spud seine Drogen von Jungs kauft, die seine Söhne sein könnten, ist nicht nur das Langzeitsüchtigenelend auf den Punkt gebracht. Deutlich wird auch, dass die Coolness und mit ihr diese ungeheure Energie, die an »Trainspotting« so bestach, verschwunden ist. 

Den ständigen Vergleich zum Original beschwört Boyle selbst willentlich herauf. Wieder und wieder zitiert er Szenen aus dem Original, zeigt dieselben Orte, spielt mit der Musik. Einmal betritt Renton sein altes Kinderzimmer, legt eine Platte auf, senkt die Nadel – um sie augenblicklich wieder hochzufahren. Man hört nur einen Takt, aber die meisten Fans wird das Wiedererkennen wie ein Blitz treffen.

Boyle würde durch seinen flotten Schnitt zu flotter Musik das Drogennehmen letztlich verherrlichen, hat man ihm seinerzeit vorgeworfen. Mit »T2« belegt er, dass er das Handwerk, aus Musik und Bilderfolgen ein Lebensgefühl zu kreieren, noch immer beherrscht. Aber sein Blick wandert diesmal hinter die vordergründige Faszination an der Drogenkultur. Und was man da sieht – das Älterwerden als Verlust-, Entfremdungs- und Einsamkeitserfahrung – ist fast noch unangenehmer als all die Ekeldinge, die die Süchtigen damals für ihren »Schuss« zu tun bereit waren.

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