Kritik zu Paraíso

© Arsenal Filmverleih

Die Regisseurin Mariana Chenillo erzählt in ihrem zweiten Film von einem rundum zufriedenen Pärchen, das aus der beschaulichen Vorstadt in die Metropole zieht – und in mehr als einer Hinsicht aus dem Gleichgewicht gerät

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Ein Garten Eden ist Satélite, eine im Umland von Mexiko City gelegene Vorstadt, ganz sicher nicht. Schließlich beschwört schon der Name das Bild einer Siedlung am Rand, die irgendwann mal am Reißbrett der Stadtplaner erschaffen wurde. Aber Carmen und Alfredo leben hier wie in einem Paradies. Nur wissen die beiden, die seit drei Jahren verheiratet sind, das nicht. Für das extrem übergewichtige Pärchen ist die Offenheit und Toleranz, mit denen die anderen ihnen hier begegnen, einfach selbstverständlich. Sie kennen es nicht anders.

Was sie in Satélite hatten, wird Carmen und Alfredo erst bewusst werden, nachdem sie nach Mexiko City umgezogen sind, weil Alfredo dort einen Job angenommen hat. In der Metropole sind sie Außenseiter, die mit spöttischen Blicken bedacht werden. Für Alfredo ist das kein Problem; der IT-Fachmann interessiert sich so wenig für alles Äußerliche, dass er gar nicht mitbekommt, wie seine schlanken neuen Kollegen über ihn tuscheln. Dieses Glück hat Carmen nicht. Sie ist keineswegs blind für das, was um sie herum geschieht und gesagt wird. Bei einer Firmenfeier hört sie, wie zwei von Alfredos Kolleginnen überaus verletzend über sie sprechen. Danach steht für Carmen fest, es ist Zeit abzunehmen. Aus Solidarität schließt sich Alfredo ihr an. Doch während sie im Kampf gegen die Pfunde keine nennenswerten Erfolge verzeichnen kann, wird ihr Mann von Woche zu Woche schlanker.

»Paraíso«, der zweite lange Spielfilm der Mexikanerin Mariana Chenillo, beginnt mit einer Liebesszene zwischen Carmen und Alfredo. Die Kamera kommt den beiden dabei sehr nahe. In den Großaufnahmen ihrer nackten Körper deutet sich schon deren Fülle an. Aber sie wird nie zum Thema der Bilder. Das Paradies ist eben nicht nur Satélite. Es liegt auch in dem gänzlich vorurteilsfreien Blick von Mariana Chenillo und ihrem Kameramann Yaron Orbach. Die Bilder haben eine wundervolle Leichtigkeit, die ganz und gar von der bedingungslosen Liebe dieses ganz normalen Paares erfüllt ist. So etwas wie Schwere kommt erst ins Spiel, als Carmen sich den Blick der anderen auf sich zu eigen macht.

In diesem einschneidenden Moment verliert Carmen nicht nur ihre Unbeschwertheit, auch ihre Unschuld ist danach Geschichte. Ein wenn nicht tragischer, doch zumindest dramatischer Ton mischt sich in den heiteren Klang des Films. Zwischen ihr und Alfredo gerät etwas aus dem Gleichgewicht. Eine Veränderung hält Einzug in ihre Beziehung und stellt sie auf die Probe. So löst sich Mariana Chenillos Film mehr und mehr von dem Gewicht seiner Protagonisten und entwickelt sich zu einer tragikomischen Studie über die Unwägbarkeiten einer Beziehung. Was hält ein Paar zusammen?

Liebe und Vertrautheit spielen eine große Rolle, doch schon eine einzelne Veränderung wie ein Umzug oder eine geglückte Diät kann alles durcheinanderbringen. Diese Dynamik fängt Mariana Chenillo mit großer Sensibilität in mal komischen, mal traurigen Momenten ein, die ihre Figuren aber nie der Lächerlichkeit preisgeben.

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