Kritik zu Leid und Herrlichkeit

© Studiocanal

Blick zurück im Schmerz: Pedro Almodóvar erzählt in seinem neuen Film von einem alternden Regisseur – ­gespielt von Antonio Banderas – in »Late-Life-Crisis«. Auto­biografisches lässt er einfließen, aber doch immer wieder anders, als man denkt

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Pedro Almodóvar führt in Gestalt seines Alter Egos einen Dialog mit seiner fiktiven Mutter. Gespielt wird sie von Julieta Serano, einer Veteranin, die zum festen Inventar des Frauenregisseurs zählt. In dieser Szene verabschiedet sich die greise Mutter auf dem Sterbebett. Ihrem Sohn hinterlässt sie einen Rosenkranz und die Mahnung, er möge es doch mit der »Metafiktionalität« nicht übertreiben …

Almodóvar ist wohl der einzige Filmschaffende, bei dem eine solche Verschachtelung von Autobiografie und Selbstreferentialität nicht verkopft wirkt. Im Gegenteil. Lachen und Weinen liegen dicht beieinander in dieser Szene. Almodóvars neuer Film »Leid und Herrlichkeit« ist eine melancholische Autobiografie, ein Blick zurück im Schmerz. Der zweifache Oscarpreisträger spiegelt sein Leben und sein Werk ineinander, zieht dabei allerdings zahlreiche doppelte Böden ein.

Zuschauer zeigten sich meist ergriffen, konnten allerdings kaum sagen, warum: das typische Almodóvar-Gefühl. Während des Anschauens erscheinen seine Filme schwerelos leicht. Sobald man sich aber fragt, wie die Fragmente aus zahlreichen Erzählebenen ineinander verwoben sind, ergeht es einem wie bei der Erinnerung an einen verworrenen Traum. Der Film hinterlässt ein intensives Gefühl, das aber schwer zu fassen ist.

Bei der Rückübersetzung in Worte springt ein Motiv ins Auge, das der Spanier schon in »Das Gesetz der Begierde« erprobt hat, jenem Schlüsselwerk von 1986, für das der junge Regisseur sich seinerzeit hoch verschuldet hatte. Ein Misserfolg hätte folglich dazu geführt, dass er den darauf folgenden Film »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs«, seinen internationalen Durchbruch, nicht hätte realisieren können, so dass wir heute in einem Paralleluniversum leben würden, in dem es den Namen Almodóvar nicht gäbe.

»Das Gesetz der Begierde«, ein autobiografischer Film, erzählt eine schwule Liebesgeschichte, in der ein Regisseur die Welt um sich herum schreibend erfindet. Das geht so weit, dass er seinem Partner vorgetippte Liebesbriefe schickt, die dieser nur noch unterzeichnen und an den Absender zurückschicken muss. Das Motiv dieser narzisstischen Selbstbespiegelung, die interessanterweise schriftstellerisch ausgelebt wird, greift Almodóvar in seinem aktuellen Film wieder auf. Antonio Banderas, der von Almodóvar schon in einem seiner ersten Filme entdeckt wurde und daraufhin zum Hollywood-Latin-Lover avancierte, verkörpert den gealterten Regisseur Salvador Mallo. Banderas spielt diesen von körperlichen und seelischen Leiden gezeichneten Künstler mit der Akribie eines Method Actors – was beinahe ins Pa­rodistische umkippt.

Nach jahrzehntelangem Zerwürfnis versöhnt Salvador sich mit seinem Lieblingsdarsteller Alberto (Asier Etxeandia), einem verkrachten Schauspieler, dem er, um ihm künstlerisch wieder auf die Beine zu helfen, einen noch unveröffentlichten Bühnenmonolog überlässt. Das Stück ist eine Liebeserklärung an seinen Exlover Federico (Leonardo Sbaraglia), der zu jener Zeit, als Salvador Mallos Stern als Regisseur gerade aufging, harten Drogen verfiel und seither verschollen ist. Bei der Uraufführung des Bühnenstücks sitzt Federico, oh Wunder, im Premierenpublikum: eine jener für Almodóvar typischen Verwicklungen, deren Nacherzählung verdreht klingt, während die auf der Leinwand inszenierte Geschichte dank ihrer liebevoll gezeichneten Charaktere bewegend ist.

Das anschließende Wiedersehen zwischen Salvador und seiner Exliebe erweist sich – trotz eines fulminanten Männerkusses – als ernüchternd: Federico ist inzwischen nicht nur clean, sondern auch ein heterosexueller Familienvater. In der Wiederbegegnung mit der Vergangenheit wird das Objekt der Begierde pulverisiert – und deshalb muss auf dieser Suche nach der verlorenen Zeit eine noch tiefere Schicht der Erinnerung erschlossen werden. Also schüttelt Almodóvar noch eine Kindheitsepisode aus dem Ärmel. Als Knabe sieht er dem splitternackten, gut gebauten Bauarbeiter Eduardo (César Vicente) beim Waschen zu. Der heftige Fieberanfall, den diese homoerotische Urszene auslöst, korrespondiert mit dem körperlichen Zerfall des gealterten Regisseurs: Ist Liebe nun ein Symptom oder Kunst?

In seinem einundzwanzigsten Film porträtiert der 69-jährige Almodóvar sich selbst als Heroinsüchtigen – obwohl er nie harte Drogen genommen hat. Man sollte seinen Film nicht als autobiografisches Geständnis missverstehen. Fiktive und reale Erzählstränge verschränken sich mit verschiedenen Zeit­ebenen zu einer vexierbildartigen Einheit. In »Leid und Herrlichkeit« zieht Almodóvar die Summe seines Werks. Autopoetische Beichten, die er einem verflossenen Liebhaber in den Mund legt, oder der »metafiktionale« Dialog mit der eigenen Mutter erscheinen dabei nicht wie blutleere intellektuelle Muskelspiele. Deutlicher als sonst offenbart »Leid und Herrlichkeit« die »Almodóvar-Matrix«. Die Künstlichkeit einer Welt, die scheinbar von einer Lavalampe erleuchtet wird, wird auf die Spitze getrieben. Trotzdem sind die Gefühle authentisch, denn zwischen Filmen und Lieben gibt es bei Almodóvar keinen Unterschied. Er schafft das Kunststück, sich beim Filmen selbst über die Schulter zu sehen und sich dabei im Stil jenes chinesischen Malers zu porträtieren, der in das narzisstische Universum seines selbst gemalten Bildes hinein tritt und darin verschwindet.

In diesem Sinn fragt der Chirurg in der letzten Szene den todkranken Regisseur auf dem OP-Tisch nach seinem neuen Film: »Drama oder Komödie?« »Das weiß man erst am Ende«, erklärt der nicht mehr aus der Narkose erwachende Regisseur, der sich nun endgültig im »Labyrinth der Leidenschaften« verliert. Kunst, Leben, Homosexualität, Filmschaffen und visuell überbordende Ausstattung fügen sich zu einem atemlos grandiosen Film.

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