Kritik zu Die andere Seite der Hoffnung

© Pandora Film Verleih

Sechs Jahre nach »Le Havre« widmet sich auch der neue Film von Aki Kaurismäki einem Flüchtlingsschicksal und zeigt den Meister der Lakonie auf der Höhe seiner Kunst. Hier ist Helsinki ein Ort der Kälte, aber auch der unverhofften Solidarität

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Kaum hatte sein neues Werk im Fe­bruar im Wettbewerb der Berlinale Premiere gefeiert, da kündigte Aki Kaurismäki seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft an. Er sei müde und wolle endlich beginnen, sein eigenes Leben zu leben: »Diesmal ist es wirklich ›Adios‹.« So kann es also sein, dass der Silberne Bär für die beste Regie eine Art Abschiedsgeschenk an die finnische Autorenfilmer-Ikone war und es niemals den dritten Teil der angekündigten Flüchtlingstrilogie geben wird, die er mit dem vielfach preisgekrönten »Le Havre« begonnen hat und nun mit »Die andere Seite der Hoffnung« fortsetzt. Das wäre furchtbar schade, zeigt Kaurismäki doch gerade jetzt, wie viel er mit seinen Filmen zur Lage der Welt zu sagen hat. Die soziale Realität der Migration und das Universum Kaurismäki, dessen Sympathie schon immer den Heimatlosen und Ausgestoßenen galt, finden absolut schlüssig zueinander.

Auf der Suche nach einem neuen Anfang sind beide Hauptfiguren, die in »Die andere Seite der Hoffnung« in zunächst parallel verlaufenden Handlungssträngen vorgestellt werden: der Syrer Khaled, der als blinder Passagier auf einem Frachter nach Helsinki kommt, und Wikström, ein fliegender Händler für Herrenhemden, der seine Ehe auf eine Weise beendet, wie das nur bei Kaurismäki geschieht: Wortlos legt er Wohnungsschlüssel und Ehering auf den Tisch und geht; seine Frau verzieht keine Miene, schenkt sich nur Wodka nach. Während Wikström in das abgehalfterte Restaurant »Zum Goldenen Krug« investiert (»Guter Name. Bekommt man sofort Durst«), durchläuft Khaled das finnische Asylverfahren. Kaurismäki macht dabei die Unpersönlichkeit und Kälte des behördlichen Prozederes augenfällig, ohne plakativ überzeichnen zu müssen – er destilliert das Geschehen durch seinen inszenatorischen Minimalismus scheinbar mühelos aufs Wesentliche. Auch sonst ist Kaurismäkis Inszenierungskunst hier bei einer Perfektion angelangt, in der jede Einstellung, jede lakonische Pointe sich exakt in Fluss und Rhythmus der Erzählung fügt.

Khaleds Asylgesuch wird abgelehnt, doch er entrinnt der Abschiebung und versteckt sich in Wikströms Restaurant. Obwohl die beiden zuerst unsanft aneinandergeraten, darf Khaled bleiben und erhält einen Job als Putzkraft. Doch das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte. Die Erfolglosigkeit des »Goldenen Krugs«, dessen Erscheinungsbild vergeblich diverse radikale Metamorphosen durchläuft, ist da noch das geringste Pro­blem. Schlimmer ist, dass Khaled sowohl von den Behörden gesucht als auch von Neonazis bedroht wird – und er weiß immer noch nicht, wo seine Schwester ist, die er auf der Flucht verloren hat.

Timo Salminen, bewährter Kameramann Kaurismäkis, hat »Die andere Seite der Hoffnung« auf 35 mm gedreht, in Bildern von häufig grau-blauen oder braunen Grundtönen mit kräftigen farbigen Akzenten durch Kostüm und Dekor – ein zeitloser Kaurismäki-Look. Auch dank einiger bekannter Gesichter aus früheren Kaurismäki-Werken wie Kati Outinen wirkt die Welt des Films vertraut. Sogar geraucht wird hier immer noch so fleißig, als befänden wir uns in den 1980er Jahren. Einer wie auch immer gearteten Gemütlichkeit gibt Kaurismäki allerdings keinen Raum: Trotz wunderbarem Humor lässt er keinen Zweifel daran, dass furchtbare Kräfte in dieser Welt am Werk sind, Fremdenhass, Unrecht und Kälte. Und auch die nicht von Hass Getriebenen sind durchaus egoistisch, doch ebenso sind sie zu Mitmenschlichkeit und Großherzigkeit fähig. Immer wieder im Lauf der Handlung lässt Kaurismäki Menschen solidarisch zueinanderfinden, am lakonischsten und auch am schönsten in der Underdog-Belegschaft des Restaurants. Auch die musikalischen Szenen, die den Film interpunktieren, mit finnischen Songs über Rock ’n’ Roll bis hin zu Khaleds traurigem Spiel auf der Saz, erzählen von Gemeinschaft – und sei es nur jene, die durch das gemeinsame Lauschen auf ein zu Herzen gehendes Lied entsteht. Die frappierende Einfachheit, mit der Kaurismäki hier von den manchmal verschlungenen Wegen der Mitmenschlichkeit erzählt, macht »Die andere Seite der Hoffnung« zu einem seiner besten Werke.

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Film ist nicht nur was für Fans von Aki Kaurismäki, weil die Figuren alle mit Ladehemmung agieren und einen Spazierstock verschluckt zu haben scheinen. (Gesichtslähmung inklusive). Auch nicht, weil sich am Ende alles wie in einem Märchen zum Guten wendet, ohne dass der Zuschauer genau weiß warum. Das Anschauen lohnt sich aus zwei Gründen: die Musik ist gut und die wenigen Gags erheitern den vor sich hindämmernden Zuschauer. Der Plot ist eine Wundertüte aus der Realitätsretorte und kommt wie eine Dokumentation daher mit einem ausnehmend hübschen Titel.
Der syrische Immigrant Khaled landet zufällig in Finnland und will politisches Asyl beantragen. Als die Abschiebung droht, taucht er unter. Außerdem sucht er seine Schwester, die er auf der Balkanroute verloren hat. Parallel dazu zieht der Handlungsreisende Wikström zu Hause aus, weil seine Frau trinkt und macht ein Restaurant auf. Er gibt Khaled einen Job. Rassisten sind ihm aber auf der Spur und lauern ihm auf.
So lobenswert die Absicht des Regisseurs auch sein mag, eine brennende Frage der Zeit zu thematisieren, man muss schon seinen eigenartigen Stil mögen: lange Passagen ohne Worte, minimale Gesten - von einer gelegentlichen Umarmung mal abgesehen. Da bleibt die Distanz emotionslos auch wenn am Ende Khaled vom Rassisten verletzt still unter einem Baum liegt und aufs Wasser schaut, seine Schwester gefunden hat und Wikström wieder heimkehrt, weil seine Frau nicht mehr trinkt…
Es ist eine mögliche Betrachtungsweise für das Problem der illegalen Immigration, die hier stilsicher aber etwas gewollt hingebogen wurde. Die Begeisterung der Kritiker kann ich leider nicht teilen.

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