Eurovision

Sieghardt Rupp

Wenn es nach ihm gegangen wäre, was es diesmal auch tat, bestand keine Eile beim Nachrufen. Als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass Sieghardt Rupp schon im letzten Jahr gestorben war, mussten Feuilletons und Boulevard erst einmal schlucken. Niemandem wäre es in den Sinn gekommen, dass der dreiste, großspurige Zollfahnder Kressin ebenso viel Wert auf Verschwiegenheit und Entschleunigung legen sollte wie die weltflüchtige Setsuko Hara.

Bekannt wurde sein Ableben erst, als das Filmarchiv Austria ihm eine Hommage zum 85. Geburtstag ausrichten wollte, den er in zehn Tagen gefeiert hätte. Ich fürchte, ich schreibe viel zu selten über dessen Aktivitäten. Seine Filmprogramme sind von beeindruckendem und keineswegs nur patriotischem Einfallsreichtum und ihre Buchpublikationen zeichnet eine historische und sinnliche Sorgfalt aus, die selten geworden ist.

Die Zeitungen erholten sich notgedrungen rasch von dem Streich, den Rupp der Öffentlichkeit gespielt hatte. Auf die Schnelle ließ sich freilich kaum mehr als seine berühmteste Rolle in den Blick nehmen. Dass in diesem Schauspieler noch ein ganz anderes Temperament lauerte als das des schelmischen Grobians Kressin, war leicht zu übersehen. Rupp konnte vor seinem Kinodebüt bereits auf eine anständige Theaterlaufbahn zurückblicken, die er nach seinem Abschied vom Fernsehen illuster und diskret fortsetzte. Als Darsteller nutzte der gebürtige Bregenzer weit mehr Möglichkeiten, als ihm sein blendendes Aussehen eigentlich zugestanden hätte. Dass die ARD nun zu nachtschlafender Zeit (00:15 Uhr) mit dem Tatort »Kressin stoppt den Nordexpress« an ihn erinnert, liegt in der Natur des Mediums. (Die Zugentführung ist allerdings auch spektakulär.) Immerhin brachten Rupps Auftritte dem Sender Anfang der 70er Jahre Einschaltquoten, die oft noch über den komfortablen 50 Prozent lagen.

Bei uns zu Hause wurde damals sonntagabends jedoch meist umgeschaltet. Kressin war meinen Eltern zu frech und pflichtvergessen. Letzteres war ein Irrtum, denn er besaß einen argwöhnischen kriminalistischen Instinkt. Seine anstrengenden, aber nicht aufreibenden Liebeleien ließen ihn nie zögern, wenn er irgendwo die Anbahnung eines Verbrechen bemerkte. Autor Wolfgang Menge hätte lieber Heinz Bennent in der Rolle des Kölner Zollfahnders gesehen, was ebenfalls ein Irrtum gewesen wäre. Der hätte sich gewiss nicht ins Gedächtnis einer ganzen Generation eingegraben in der Rolle, die mit einem Vornamen übrigens nichts hinzugewonnen hätte. Rupps kecke Zudringlichkeit entsprang freilich eher Männer- als Frauenphantasien. Als Verführer war er stets eine Spur zu selbstgewiss für bundesdeutsche Geschmäcker. Seine Komplimente waren meist herablassend, seine Scherze ungeniert chauvinistisch. Nur selten parierte er diesen Zug mit zugewandter, jungenhafter Jovialität.

An seine immerhin zahlreichen Auftritte in Heimatfilmen habe ich nur vage Erinnerungen. Verloren wirkte der kernige, braungebrannte Bursche in deren Szenerien wahrscheinlich nicht. Das Filmarchiv zeigt keinen von ihnen. Statt dessen ist er in einigen Krimis der frühen 60er zu entdecken, in denen er auch mal verletzbarere und galantere Charaktere spielen durfte. Spätestens nach seinem Part als Kontrahent von Clint Eastwood in »Für eine Handvoll Dollar« (nebenbei auch ein prächtiges Duell der Haartollen) wurde er aufs Fach des Bösewichts festgelegt. Dazu trug in deutschsprachigen Produktionen auch seine markige Stimme bei, vor allem aber die gelinde Ironie, die er der Rücksichtslosigkeit verlieh. Seine Schurken, das merkte man sofort, waren gern böse und fühlen sich wohl in ihrer Haut. Schon ein Blick auf seine Filmographie (»Im Reich des Silbernen Löwen«, »Die Pagode zum fünften Schrecken« oder, besonders schön: »Du stirbst um sechs in Tetuan«) vermittelt ein Flair von Exotik, deren ideologischer und topographischer Ausgangspunkt nicht in Kalifornien lag. Rupp trat auch in einigen »Angélique«-Filmen und kurz als Widersacher von Louis de Funès in »Die große Sause« auf, fand aber vor allem Engagements in Italien. Wobei die nationale Identität der Filme gar nicht so wichtig war; meist entstanden sie als Co-Produktionen und erschlichen sich eine anglo-amerikanische Genrekompetenz. Rupps Karriere war das Resultat einer munter grenzüberschreitenden Trivialität. Solcher Wildwuchs war eben möglich, als europäisches Kino noch aus dem Wunsch und Wille der Produzenten entstand und nicht als Nebeneffekt der Bürokratie.

Es besaß also beträchtliche Konsequenz, dass er im »Tatort« als Zollfahnder agierte (und nebenbei bewies, dass Kinoschurken aus der zweiten Reihe, siehe Peter Falk, prächtige TV-Ermittler abgeben können). Seine Dienstreisen führten ihn vorwiegend in die Benelux-Länder, aber beispielsweise auch nach Kopenhagen und erstaunlich oft kehrte er zu Beginn aus der Türkei zurück. Seinen Gegenspieler in fast allen Folgen verkörperte der polyglotte Ivan Desny, was ein schöner Kontrast war, denn so trat eine prahlerisch-schlagfertige Weltläufigkeit gegen eine mit formvollendeten Manieren an. Ich bin nicht mal sicher, ob Kressin dem soignierten Gentleman Sievers am Ende wirklich das Handwerk legte. Ebenso wenig bin ich davon überzeugt, dass der Zollfahnder ein überzeugter Europäer war. Er haderte gönnerhaft mit der Sprachenvielfalt (»Wenn ich wiederkomme,« verspricht er Gitte im »Nordexpress« zum Abschied, »spreche ich Dänisch – wenn sich die Sprache so lange hält.«) und schätzte das Zusammenrücken Zentraleuropas eher als Spielfeld erotischer Freizügigkeit, die ihm seine Eskapaden eröffneten. Staatstragend war das alles glücklicherweise nicht. Umso mehr nahm ich es Sam Fuller übel, dass er ihn in seinem Tatort »Tote Taube in der Beethovenstraße« wieder zur Nebenfigur degradierte. Ein schlimmer Frevel.

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