Schreie und Flüstern

Im Februar war im Magazin »Kulturzeit« auf 3sat ein Beitrag zu sehen, der von den Schwierigkeiten handelte, eine Filmreihe über den Massenmord an den Armeniern auf die Beine zu stellen. Das Katholische Bildungswerk des Bistums Mainz will sie aus Anlass des 100. Jahrestags der Deportationen zeigen. 14 Filme hatte der für die Programmreihe verantwortliche Johannes Kohl dafür ins Auge gefasst. Aber seine Suche lief weitgehend ins Leere. Nur zwei Filme waren zu diesem Zeitpunkt in zeigbaren Kopien verfügbar. Für Atom Egoyans »Ararat« beispielsweise waren die Rechte ausgelaufen; ihr Inhaber hatte sie nicht erneuert.

Der Beitrag suggerierte, diese Situation sei auch politischem Druck geschuldet. Schließlich weiß man, dass die Türkei den Genozid verleugnet und um Drohgebärden gegenüber Leuten, die eine andere Wahrheit vertreten, nicht verlegen ist. Das hat ja gerade erst der Papst zu spüren bekommen. Auch die klaren Worte, die das Europaparlament vor zwei Tagen in dieser Frage fand, werden gewiss nicht unbeantwortet bleiben. Andererseits hege ich gegenüber der »Kulturzeit« als treuer Zuschauer einige Vorbehalte: Mitunter scheint mir die Bereitschaft zur Empörung größer als die zu umsichtiger Recherche. Ganz so einfach verhält es sich in diesem Fall aber wohl nicht.

Auf telefonische Anfrage bestätigte mir Johannes Kohl vor einigen Tagen die Situation. Mit Ausnahme von Fatih Akins »The Cut« kann er nur zwei weitere Filme zeigen, darunter Eric Fiedlers Dokumentation »Aghet«. Von Elia Kazans »Die Unbezwingbaren« existiere nur noch eine alte 35-mm-Kopie, die zu zeigen den Technikern des Kinos als zu riskant erschien. Dieses Zögern verblüffte mich etwas. Ist die Digitale Revolution schon so weit fortgeschritten, dass einer Filmkopie bereits der Ruf der Unspielbarkeit anhaften muss? Aber womöglich ist der Unwille deutscher Rechteinhaber bezeichnend, die Lizenz für Filme wie »Ararat« oder »Mayrig«, der Verfilmung der Kindheitserinnerungen von Henri Verneuil, zu verlängern. Sie erwarten kein neuerliches Interesse. Von wirtschaftlicher Zensur muss man da nicht gleich sprechen. Aber wie wirksam die Verdrängung dieses brisanten Themas ist, musste ich bei den Recherchen für eine DVD-Kolumne der »Berliner Zeitung« feststellen. Zentrale Filme über den Genozid, etwa »Ararat«, »Die Unbezwingbaren« oder »Das Haus der Lerchen« von den Brüdern Taviani, sind nur als Import aus England, Italien oder Spanien erhältlich. »Aghet« wiederum ist anscheinend nur noch aus zweiter Hand zu erstehen.

Die filmische Auseinandersetzung mit diesem Genozid ist ein ohnehin schmales Kapitel. Zugleich ist deren Verhinderung ein so großes, dass ich in den nächsten Tagen noch einmal darauf zurückkehren möchte. Allein das Scheitern der zahlreichen Versuche, Franz Werfels »Die 40 Tage des Musa Dagh« zu adaptieren, würde Stoff für ein ganzes Buch liefern. Zudem habe ich Atom Egoyans Installation »Auroras« noch nicht gesehen, die im Rahmen des Festivals »Es schneit im April« im Berliner Gorki-Theater geiegt wird. (Ich habe es gestern Mittag versucht, aber sie läuft nur abends.) Das Programm setzt sich in vielfältiger Weise mit dem Genozid auseinander (Fred Kelemen hat eine Filmreihe dafür zusammengestellt; Egoyans Frau Arsinée Khanjian, die in praktisch jedem Film der letzten 20 Jahre zu diesem Thema auftritt, ist mit einer Performance vertreten).

Ohnehin lohnt es, für den Moment einmal über den Tellerrand des Kinos hinaus zu blicken. Am 24. April jährt sich der Beginn der Deportationen, von denen der Talat Pascha, der letzte Innenminister des Osmanischen Reichs, verfügte, ihr Ziel sei das Nichts. Traditionell ist es das Datum, an dem die in alle Welt versprengten Armenier den »Tag des Gedenkens« begehen. Just an ihm findet eine Bundestagsdebatte statt, deren 27. Tagesordnungspunkt eine Eingabe der Opposition ist, endlich den Mut zu fassen, die vom jungtürkischen Regime befohlene Auslöschung der Armenier offiziell einen Völkermord zu nennen. Keine Bundesregierung konnte sich bisher dazu durchringen. Ist es möglich, dass die Vorstöße des Papstes und des Europäischen Parlaments nun größeren Druck ausüben, als es die Türkei bislang tat? Auch die Künste fordern dazu heraus. Ein Ereignis sollte besondere Ausstrahlung haben: Am 21. April veranstaltet das Internationale Literaturfestival Berlin eine weltweite Lesung, an der Schriftsteller wie Herta Müller, Mario Vargas Llosa und Orhan Parmuk teilnehmen. Sie findet an mehr als 100 Orten statt, in Deutschland sind es rund ein Dutzend. Mitveranstalter ist das Johannes-Lepsius-Haus in Potsdam. Es ist benannt nach dem evangelischen Theologen, der als als einer der Ersten auf das unermessliche Unrecht hinwies, das den Armeniern zugefügt wurde und sich für ihre Sache engagierte. Gelesen wird aus dem Roman »Buch des Flüsterns« von Varujan Vosganian. Er ist nach Ansicht des Historikers Rolf Hosfeld, der deutschen Koryphäe auf dem Gebiet der Erforschung dieses Genozids, noch besser als Werfels »Musa Dagh«. 

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