Made in Lëtzebuerg: Über »Alte Jungs« und Kino aus Luxemburg

»Alte Jungs« (2017). © Camino

»Alte Jungs« (2017). © Camino

Es kommt nicht oft vor, dass ein Film aus dem Großherzogtum Luxemburg bei uns startet. »Alte Jungs« (Start: 4.1.) heißt die ­Senioren­komödie, und ihr Regisseur Andy Bausch hat wie kein anderer Geschichten aus seinem Heimatland erzählt

Das Altersheim ist eine Endstation und eine mit »Seniorenresidenz« sehr euphemistisch umschriebene Anstalt die Vorstufe davon. In der ist Nuckes für Sicherheit zuständig – was er allerdings nicht so genau nimmt. Zumindest lässt er es zu, dass der Bewohner Fons (70) als Geburtstagsgeschenk eine osteuropäische Prostituierte für Lull (82) zum Geburtstag in die Anstalt zu schmuggeln versucht. Fons ist so etwas wie der Rädelsführer im betreuten Wohnheim; er richtet den Bewohnern auch die Pornokanäle ein – gegen Bezahlung natürlich. Lull dagegen wird das Rauchen in seinem Zimmer verboten, in dem er an seinen Memoiren schreibt. Die bei einem ehemaligen Zahnarzt nicht so spektakulär sein können, wie Fons einmal meint. Und die Lull auf seiner Schreibmaschine tippt, weil er mit dem alten Computer, den ihm sein Sohn geschenkt hat, nicht zurechtkommt. Der fliegt schon zu Beginn des Films aus dem Zimmer.

Der Geist der Rebellion liegt also in der Luft – und wird spätestens dann manifest, als die Direktorin Nuckes aus seinem Job wirft, weil er die ganze Zeit Cowboyfilme geschaut hat, statt sich über seine Beobachtungsmonitore zu beugen. Die drei treffen sich bei ihrem Kumpel Jängi (84), der in einer Hütte in einer Kleingartensiedlung lebt. Noch. Denn an die Stelle der Schrebergartenanlage soll ein Einkaufszentrum gebaut werden. Die Jungs brauchen also eine neue Bleibe – eine Seniorenwohngemeinschaft. Man kennt diesen Wunsch ja vielleicht aus dem eigenen Umfeld: nach Studium und Familie und Beruf noch einmal an die wilden Tage anknüpfen. Oder sie überhaupt einmal zu erleben. Und natürlich ist das irgendwie ein Reflex auf die rebellische Zeit der späten Sechziger und Siebziger, die es ja vielleicht auch in Luxemburg gegeben hat. Auf alle Fälle muss die WG »autonom« sein, wie die Senioren, die irgendwie keine sein wollen, immer betonen.

»Alte Jungs« (2017). © Camino Filmverleih

Das Schöne an diesem Film ist, dass Andy Bausch die Suche nach der Wohnung mit einer angenehmen Langsamkeit in Szene setzt, so wie ältere Menschen eben durchs Leben gehen. Und dass er hier Schauspieler und Schauspielerinnen zusammenführt, mit denen er schon öfter gearbeitet hat. Nuckes wird von André Jung, Jahrgang 1953, gespielt, in Deutschland wahrscheinlich der bekannteste der Hauptdarsteller­riege, er hat für Schlöndorff in »Das Meer am Morgen« den General Stülpnagel gegeben, und bei Bausch in »La Revanche« den Besitzer eines »Cabarets«. Dort war Fernand Fox, geboren 1934, Stammgast, ein spät berufener Schauspieler, der bis in seine Vierziger bei einer Versicherung arbeitete.

Marco Lorenzini (*1950) war schon in Bauschs »Three Shake-a-Leg Steps to Heaven« (1993) dabei und saß im »Club des chomeurs« (2003), dem Klub der Arbeitslosen, am Stammtisch. In ersterem spielte Josiane Pfeifer (*1952) mit, auch eine Bewohnerin der Seniorenresidenz, die mit Lull eine Vorliebe für das Rauchen und ein gutes Tröpfchen teilt. Paul Greisch (Lull), der zwar Filmerfahrung hat (Schacko Klak) aber noch nicht bei Bausch gearbeitet hat, ist in Luxemburg ein bekannter Schriftsteller und Bühnenautor. Alle Schauspieler haben übrigens ihre Rolle für den deutschen Kinostart aus dem Luxem­burgischen ins Deutsche selbst synchronisiert.

Einige aus dem Ensemble von »Alte Jungs« werden Sie vielleicht von ihren Gesichtern her wiedererkennen, aber ihre dezidiert luxemburgischen Filme dürften Ihnen unbekannt sein. Wahrscheinlich kann man die luxemburgischen Filme – gemeint sind nicht die internationalen Koproduktionen –, die in Deutschland einen Kinostart hatten, an zwei Händen abzählen. Amazon und Netflix bieten nichts an, bei iTunes sind ein paar zu finden – aber selbst eine gut sortierte Videothek dürfte kaum etwas in den Regalen haben. Es gibt einen spezialisierten Streamingdienst (vod.lu) – aber der ist ­aufgrund des Geoblockings nur für Luxemburger zugänglich. Immerhin, man kann DVDs bestellen. Erste Bekanntheit erlangte der luxemburgische Film durch das Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, der wichtigsten Veranstaltung für den deutschsprachigen Nachwuchsfilm. Das Saarland grenzt an das Großherzogtum mit seinen gerade mal 590 000 Einwohnern, von denen übrigens nur die Hälfte luxemburgische Staatsbürger sind. Hier liefen frühe Filme von Andy Bausch, etwa »Troublemaker« (1988), immer noch einer seiner berühmtesten Filme, oder sein furioses schwarz-weißes Endspiel »A Wopbobaloobop a Lopbamboom« (1989) mit Desirée Nosbusch. 1993 gewann den Max-Ophüls-Preis Pol Cruchtens »Hochzaitsnuecht«, der zuvor allerdings schon in der Certain-Regard-Reihe in Cannes lief. Und den es heutzutage weder auf DVD noch zum Streamen gibt.

Überhaupt ist der Film Made in Luxembourg ja eine relativ junge Erfindung; bis in die 80er Jahre hinein hat es in Luxemburg keine professionelle Filmproduktion gegeben, sieht man einmal von dokumentarischen Kurzfilmen und Ausnahmen wie dem ­»Sekretärinnenreport 2« ab. Erst in den späten 80er und 90er Jahren begann das Land, mit Filmförderung und Steueranreizen in die Filmproduktion zu investieren, um vor allem internationale ­Koproduktionen wie »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« oder »Irina Palm« nach Luxemburg zu holen bzw. von luxemburgischen Firmen koproduzieren zu lassen. Wer davor etwas mit Film machen wollte, musste ins Ausland gehen, wie der gebürtige Luxemburger Norbert Jacques, der die literarische Vorlage zu Fritz Langs »Dr. ­Mabuse, der Spieler« und davon inspirierten Sequels schrieb. Oder ­Germaine Damar, die zu einem großen Star des bundesdeutschen Revuefilms wurde, bevor sie nach über 30 Filmen schon in den 50er Jahren ihre Karriere beendete.

Aber es hat in den 70er Jahren eine florierende Kurzfilmszene gegeben, mit einem Wettbewerb für Filmamateure, der »Nährboden, auf dem der luxemburgische Film gedieh«, wie Paul Thiltges, der viele Filme von Bausch produzierte, einmal bemerkte. Auch Bausch, der nie eine Filmschule besuchte, begann mit Kurzfilmen in Super 8, sein »Die letzte Nacht« (1983) war der erste luxemburgische Film, der auf einem internationalen Filmfestival lief, in Rimini. Noch wichtiger war »Bauschs Stefan« (1982): Darin gab der Schauspieler Thierry Van Werveke sein Debüt. Van Werveke mit seiner fiebrigen Ausstrahlung und dem zuckenden Gesicht ist der bekannteste Schauspielexport Luxemburgs. Thierry Van Werveke war kein Schauspieler mit Zurückhaltung, bei ihm spielte der ganze Körper mit. »Thierry National«, wie man ihn im Luxemburg nennt, ist leider schon 2009 gestorben, im Alter von 51 Jahren. Only the good die young. Im deutschen Film war er im Mainstream wie in kleinen Produktionen zu Hause. Was wäre »Knockin' on Heaven's Door« (1997) von Thomas Jahn ohne die beiden schwarz­gewandeten, trotteligen Gangster Henk (Werveke) und Abdul ­(Moritz Bleibtreu)? Eine ziemlich larmoyante Geschichte. Als ­Vater einer krebskranken Tochter in »Eine andere Liga« hängt Van Werveke noch an seiner verstorbenen türkischen Frau, ­bewahrt ihre Wäsche auf und kämpft mit seinen Mitteln um das Leben seiner Tochter.

Aber trotz aller machohaften Attitüde hat er es stets geschafft, seinen Figuren auch etwas Verletzliches, Melancholisches mitzugeben. Und vielleicht konnte er es ganz zu Beginn seiner Karriere am besten beweisen in Andy Bauschs »Troublemaker« aus dem Jahr 1988, der von zwei Luxemburger Jungs handelt, die von den großen Gangstern in Amerika träumen, selbst aber nur zwischen Knast und missglückten, dilettantisch organisierten Verbrechen hin- und herpendeln. Er heiße nicht »Jacques Guddebuer«, brüllt Van Werveke einmal die Polizisten an, sondern Johnny Chicago. »Main Numm ass Johnny, Johnny Chicago!«, wie es im Original heißt. Und wenn er in dieser Gangsterkomödie nach Hause kommt, zu seiner Freundin in die Küche, zeigt ihn Bausch vor einem Poster von James Dean. Wobei Van Werveke durch sein Krakeelen das Kind weckt und von seiner Freundin hören muss, dass das Kind so sei wie er: Es schreit herum, säuft und produziert Scheiße.

Du hast keine Chance, also nutze sie, war damals, als »Troublemaker« entstand, ein geflügeltes Wort. Andy Bausch hat ein Faible für die Wohlstandsverlierer, für die Menschen, die beim Strukturwandel der Gesellschaft von der Stahlindustrie hin zur Finanzdienstleistung herausgefallen sind. Und er versteht es, wie ein Ken Loach, ihre Orte in Szene zu setzen, die kleinen Kneipen und schmuddeligen Wohnungen. Luxemburg ist selten schön in den Filmen von Andy Bausch. Und apropos Strukturwandel: In »Back in Trouble«, dem Sequel aus dem Jahr 1997, in dem Chicago und sein Kumpel Chuck Morreno (Ender Frings) genauso dilettantisch agieren, haben sie es auf das Geld der Deutschen abgesehen, die es in Plastiktüten in die luxemburgischen Banken tragen. Allerdings gerade dann nicht, wenn die beiden die Bank überfallen. »Unser Handwerk ist in eine neue kreative Phase getreten«, hieß es einmal hochtrabend in diesem Film, durch den der Geist von »Butch Cassidy« und »Sundance Kid« weht.  

 Wahrscheinlich könnte man die Filme von Bauschs »Gängsta-Trilogie« (dazu kam 2010 noch »Trouble No More«) als so etwaswie Krimigrotesken bezeichnen. Aber allen seinen Filmen ist ein gewisser sarkastischer Humor zu eigen. Der trifft natürlich auch die ungleich größeren Nachbarn, vor allem die »Praissen«. In Bauschs schönem Film »Club des chomeurs« heißt es: »Grönemeyer? Wieder ein Deutscher, der nicht singen kann.«

Und »La Revanche« handelt von ein paar Jungs, die versuchen, den luxemburgischen Fußball zu professionalisieren. »Fußball, da gewinnen doch immer nur die Deutschen. Nur gut, dass sie die Kriege verlieren.«

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