Gerhard Midding im Interview mit Abderrahmane Sissako

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Abderrahmane Sissako am Set von »Bamako«

Abderrahmane Sissako über den Fundamentalismus in Mali und die Frage, wie Gewalt im Film gezeigt werden kann

epd Film: Monsieur Sissako, in Ihrem vorangegangenen Film Bamako geht es um einen Prozess, den der afrikanische Kontinent gegen die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds anstrengt. Auch in Timbuktu stellen Sie die Frage nach den Bedingungen von Gerechtigkeit. Wie hat sich ihr Blickwinkel darauf verändert? 

Abderrahmane Sissako: In Timbuktu haben mich drei Themen interessiert: das Verbot, der Blick auf die Frau und die Ungerechtigkeit. Der Auslöser des Films war ein Verbrechen, von dem die Medien seinerzeit nur wenig Notiz nahmen: die Steinigung eines Paares durch Fundamentalisten im Norden Malis. Diese mediale Unsichtbarkeit empörte mich: Nur weil es nicht im Blickfeld der Öffentlichkeit geschah, war es nicht berichtenswert. Das wirft für meinen Film die Frage auf, wie ich den fundamentalistischen Terror ästhetisch umsetze. Nähere ich mich ihr frontal oder schaffe ich Distanz? Die Szene der Steinigung wäre unerträglich, wenn es nicht einen Moment der Brechung gäbe. Einer der Dschihadisten, der zuvor das Musizieren verboten hat, fängt plötzlich an zu tanzen. Die Szene ist noch immer hart, aber es gibt eine Distanz.

Ein Unterschied zu dem fiktiven Gerichtshof in Bamako besteht darin, dass dort Justiz auf Gleichheit beruht.

Ja, und hier ist das Denken der fundamentalistischen Besatzer unilateral: »Ich bin hier, ich ergreife die Macht, ich erlasse meine eigenen Gesetze.« Darin liegt eine radikale Negation des anderen, aber auch seiner selbst.

Wie war es überhaupt möglich, dass die Terroristen von Al Kaida und Ansar Dine den Norden Malis besetzen konnten? 
Es ist am einfachsten, Gebiete zu besetzen, die politisch und ökonomisch fragil sind. Mali ist ein friedliches Land, es gab keine Armee, die sich ihnen entgegenstellen konnte. Man musste die Terroristen mit anderen Waffen bekämpfen.

Tatsächlich besitzt der Widerstand in Ihrem Film große Poesie.

Es ist ein passiver Widerstand, der aus der Zuversicht, einem festen Glauben an ein Morgen, entsteht. Denken Sie nur an die Choreographie des Fußballspiels im Film: Wenn Sie Kindern verbieten, Fußball zu spielen, und diese es dann ohne Ball tun, dann haben die Kinder gewonnen. Wenn eine Figur geschlagen wird und ihr Schrei sich im Film in Gesang verwandelt, dann nimmt das den Unterdrückern ihre Macht. Das ist die beste, die einzige Antwort, die man auf eine solche Bedrohung geben kann.  

So verletzt auch Ihr Einsatz der Musik ein fundamentalistisches Tabu! 

Darüber habe ich lange nachgedacht. Es ist ja überhaupt das erste Mal, dass ich mit einem Filmkomponisten arbeite.  Zwischen Amine Bouhafa und mir gab es lebhafte Diskussionen. Ich glaube, dieser Film verlangte den emotionalen Nachdruck, den Filmmusik schaffen kann.

Die Poesie des Widerstands wird nicht zuletzt durch die Zauberin Zabou verkörpert. Wie entstand diese Figur?
Es musste jemanden geben, der alle Verbote missachtet. Da sie verrückt ist, lassen die Besatzer es zu. Sie trägt keinen Schleier, sie singt, ergreift das Wort. Was sie sagt, ist ja nicht nur wirr. Sie spricht über ihren Schmerz, ihre Wunden. Wenn sie einmal den Jeep der Terroristen anhält, wird die Farbenfreude ihres Kleides zu einer Geste des Widerstands. 

Die von den Fundamentalisten erlassenen Verbote sind absurd. Sie schildern mit viel Ironie, wie brüchig die Ideologie ist, die hinter ihnen steckt. Aber diese Ironie schafft noch etwas anderes als die Distanz, von der Sie sprachen. 

Mir war klar, dass das Verhalten der Terroristen voll innerer Widersprüche sein musste. Ich wusste, dass eine solche Ambivalenz heikel und missverständlich ist,  aber ich wollte diesen furchtbaren Leuten menschliche Züge geben, obwohl sie grausame, barbarische, völlig inakzeptable Dinge tun. Sie brechen schließlich auch fortwährend ihre eigenen Gesetze! Sie rauchen heimlich in der Wüste, wo niemand sie sieht. Darin manifestiert sich ein Zweifel; denn der Grad der Selbstverleugnung ist enorm hoch. Ich wollte zeigen, dass Dschihadisten nicht nur unbelehrbare Bartträger sind, sondern zu Gewissensbissen fähig sind. Im Zusammenhalt der Gruppe finden sie Gewissheit, in der Einsamkeit jedoch kommen Zweifel auf. Diese Widersprüchlichkeit bestärkt mich in dem Glauben, dass sie vielleicht doch noch gerettet werden könnten.

Die Darstellung von Gewalt vollzieht sich in drei Stufen: Erst richtet sie sich gegen die Natur, dann gegen die Kunst und erst später direkt gegen Menschen. 
Es stimmt, ich wollte den Tod hinauszögern. Und dann kommt er nicht einmal von Hand der Terroristen, sondern bei dem Kampf zwischen dem Tuareg Kidane und dem Fischer Amidou, der seine Kuh mit einem Speer getötet hat. Als sie im Fluss miteinander ringen und sich der Schuss löst, weiß man zunächst nicht, wer von beiden getroffen wurde. Die Gewalt entsteht aus dem Klima der Unterdrückung, der Zerbrechlichkeit der Existenzen.

Die Sanftheit Ihres Films hat mich überrascht. Ich hätte erwartet, dass er gewalttätiger sei. Wo findet die Wut ihren Platz?

Gewalt ist heftig genug, sie muss im Kino nicht noch eine zusätzlich spektakuläre Dimension bekommen. Natürlich gibt es Szenen, in denen sie direkt ausgeübt wird. Aber sie nimmt darüber hinaus unterschiedliche Formen an. Wenn Kidane beim Verhör gesagt wird: »Du wirst sterben«, dann steckt darin für mich eine ungeheure Brutalität. Die Entscheidung ist unwiderruflich gefallen. Sie fragen, wo die Wut steckt? Sie ist allgegenwärtig: in den Reaktionen der Opfer, im Blick der Frau, die zusehen muss, wie ihr Mann abgeführt wird, und weiß, dass sie ihn nie wieder sehen wird.  

 

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