Strategien des Widerstands

Über den afrikanischen Autorenfilmer Abderrahmane Sissako
»Timbuktu« (2014)

»Timbuktu« startet am 11. Dezember

Mit einer Handvoll Filmen hat sich Abderrahmane Sissako als einer der wichtigsten afrikanischen Regisseure etabliert. Jetzt kommt Timbuktu bei uns in Kino, eine eigenwillige Farce über den Feldzug der Dschihadisten im Norden Malis

Der Western Death in Timbuktu ist in keiner Filmdatenbank gelistet, obwohl seine Besetzung durchaus illuster ist. Der afroamerikanische Schauspieler Danny Glover, der palästinensische Filmemacher Elia Suleiman und der französische Kino-Intellektuelle (und langjährige Godard-Wegbegleiter) Jean-Henri Roger treten hier als Bande von Outlaws auf, die sich in den staubigen Straßen der einstigen Handelsmetropole am Rande der Sahara eine bizarre Schießerei liefern. Es gibt eine einfache Erklärung dafür, dass Death in Timbuktu filmografisch nicht erfasst ist: Die kleine Genrefingerübung ist lediglich eine absurde Vignette, ein Film-im-Film in Abderrahmane Sissakos Bamako. In Gestik und Dialogen dem amerikanischen Western nachempfunden, erinnern die Szenen an die Slapstickkomödien eines Charlie Chaplin. Der Inhalt allerdings ist starker Tobak. Einer der afrikanischen Cowboys erschießt auf Befehl des weißen Bandenführers einen Lehrer (es gibt schließlich noch einen zweiten in der Stadt), ein anderer schießt wahllos auf eine Frau, die mit ihrem Kind zufällig die Straße entlangkommt. Danny Glover, der in seiner Karriere schon einige Cowboys gespielt hat, schüttelt angesichts des sinnlosen Blutvergießens nur den Kopf und stellt sich der Killerbande. Der Tod in den Straßen Timbuktus kommt in Form einer westlichen Genreerzählung daher, dabei ist das Sterben in Mali auch ohne das Kino allgegenwärtig.

Der mauretanische Regisseur Abderrahmane Sissako liefert mit seinem aktuellen, vierten Langfilm Timbuktu – nicht zu verwechseln mit dem  »angetäuschten« Western – ein erschütterndes Bild vom anhaltenden malischen Bürgerkrieg, den ausländische Dschihadisten vor über zwei Jahren der einheimischen Bevölkerung erklärt haben. Sissako beschreibt den Alltag der Menschen in Mali mit poetischer Wehmut, die sich immer wieder für Strategien eines zivilen Widerstands öffnet. »Mein Vater lebt noch, weil er Gitarre spielt«, erzählt die zwölfjährige Toya ihrem kleinen Freund Issan, der die Schafherde des Vaters hütet. Aber auch Musik ist unter dem restriktiven Regime der Islamisten verboten. Eine junge Frau wird dafür mit sechzig Peitschenhieben bestraft, doch selbst unter größten Schmerzen singt sie in ihrem ungebrochenen Lebenswillen noch ein Lied.

Für den Staat Mali bedeutete die Besetzung durch die islamistischen Kräfte eine Fortsetzung seiner Kolonialgeschichte, die mit der militärischen Intervention durch die französische Regierung im vergangenen Jahr wohl auf absehbare Zeit besiegelt sein dürfte. Solche tagesaktuellen Entwicklungen haben die Realität von Timbuktu allerdings noch nicht eingeholt – in den Filmen Sissakos sind die Afrikaner ihr eigener Souverän. Kein Regisseur der Subsahara findet momentan für die Diskrepanz von politischer Fremdbestimmung und afrikanischer Identität so plausible filmische Formen.   

Death in Timbuktu ist in dieser Hinsicht besonders aufschlussreich für Sissakos Selbstverständnis als Filmemacher. In Bamako läuft der Western im Fernsehen, die Kinder vor dem Bildschirm lachen über den Tod der Menschen. Es ist eine indifferente Haltung, die hier gegenüber dem Kino an den Tag gelegt wird. Sie findet eine Entsprechung in Sissakos Strategie, ein historisch nicht unproblematisches Genre einerseits für das afrikanische Kino zu ­adaptieren und es gleichzeitig als fragwürdig kenntlich zu machen. Der weiße Cowboy befiehlt dem schwarzen Cowboy, einen anderen Afrikaner zu töten: Die alten Machtverhältnisse sind de facto weiter in Kraft. Indem Sissako unter dem Pseudonym Dramane Sissako selbst in einer Nebenrolle an der Seite der Outlaws auftaucht, positioniert er sich allerdings auch innerhalb der Gruppe dissidenter Cinephiler. Das Kino ist für ihn kein Selbstzweck, es bleibt immer Gegenstand kritischer Befragung.

Ousmane Sembène, der oft als Gründervater des afrikanischen Kinos bezeichnet wird (letztlich wieder nur eine koloniale Zuschreibung), in jedem Fall aber der bedeutendste Filmemacher des Subsahara-Kinos ist, war ein erfolgreicher Schriftsteller, bevor er sich in den 1960er Jahren dem Kino zuwandte. Die steigende Analphabetenrate im Senegal machte es ihm unmöglich, mit seinen Geschichten noch seine Landsleute zu erreichen. Sissako steht den Kinobildern entschieden skeptischer gegenüber: Schlimmstenfalls fügen sie sich zu einem geschlossenen, selbstreferenziellen System, das den Zuschauer zum Konsumenten degradiert. Er versteht das Kino in erster Linie als eine soziale Instanz, die Bilder müssen mit dem Publikum in einen Dialog treten. »Ein Film sollte immer Zweifel aufwerfen«, erklärte er im Frühjahr in Cannes auf der Pressekonferenz zu Timbuktu. »Wir können lediglich so tun, als gebe es eine Wahrheit.«

Diese analytische Sichtweise Sissakos, der wie so viele afrikanische Filmemacher in Frankreich lebt, ist seiner filmischen Ausbildung geschuldet. Sissako wurde 1961 in Mauretanien geboren; kurz danach emigrierte seine Familie nach Mali. Mit Anfang 20 ging er nach Moskau, wo er sechs Jahre lang am staatlichen Gerassimow-Institut für Kinematographie studierte. Diese Moskau-Verbindung ist im afrikanischen Kino auffällig, auch Sembène und der malische Filmemacher Souleymane Cissé waren zu ihrer Zeit gezwungen, ihre Ausbildung jenseits des Eisernen Vorhangs zu machen, weil die etablierten französischen Filmschulen das Talent der Filmemacher aus den ehemaligen Kolonien lange ignorierten. »Als junge Afrikaner hatten wir keine Wahl, wir mussten jede Möglichkeit ergreifen, die sich uns bot«, hat Sissako in einem Interview erzählt. »Die Leute dachten deswegen, ich sei Kommunist. Tatsache aber war, dass nur die Sowjetunion mir die Chance gab, das Filmemachen zu lernen.« Seine 28-minütige Abschlussarbeit Oktober, gefilmt von Tarkowskis Kameramann Georgi Rerberg, wurde 1991 in Cannes uraufgeführt.

International bekannt wurde Sissako 1997, als Catherine David ihn zu einem Beitrag für die Documenta X einlud. Rostov – Luanda beschreibt schon im Titel die innere Zerrissenheit eines ewigen Migranten, die sich auch durch seine späteren Filme zieht. In der Doku sucht er noch einmal seine Vergangenheit auf, einen alten Freund aus Angola, den er aus Moskauer Tagen kennt. Doch die vergebliche Suche liefert ein desolates Bild der postkolonialen angolanischen Gesellschaft. In die Erinnerungen mischt sich die Ernüchterung über den Zustand des Kontinents. Schon Sissakos erste Arbeit war geprägt von dem Gefühl des Verlusts und der Entfremdung.

Im Gegensatz zum streitbaren Sembène ist Sissako aber an einem Dialog gelegen. Die eindrucksvollste Figur in Timbuktu ist der örtliche Imam, der unnachgiebig zwischen der leidtragenden Bevölkerung und den Dschihadisten zu vermitteln versucht. Bamako ist in dieser Hinsicht sein konsequentester Film, denn er bedient sich einer besonders diskursiven Form der Vermittlung. In einem Hinterhof in der malischen Hauptstadt hält das Volk eine Gerichtsverhandlung ab. Angeklagt sind die Insitutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds, die von ihren Kritikern gern als verlängerter Arm der alten Kolonialmächte gesehen werden. Sissakos Versuchsaufbau wirkt im ersten Moment didaktisch, aber schnell wird klar, dass es ihm weniger um ein Urteil geht (das ohnehin nur eindeutig ausfallen kann) als um Repräsentation. In den Zeugenstand gerufen werden ein Lehrer, eine Mutter, ein alter Mann. Nicht immer finden ihre Aussagen vor dem Gericht Gehör – der alte Mann trägt seine Anklage in einem gesungenen Dialekt vor –, aber die Menschen finden deutliche Worte. Vor allem sind es die Worte der Betroffenen selbst, die hier für die afrikanische Sache einstehen, während um den Prozess herum das Leben einfach weitergeht. Die Menschen folgen der Verhandlung halb interessiert, rauchen, färben ihre Wäsche. 

Diese Aufmerksamkeit für alltägliche Details ist die Besonderheit von Sissakos »Volkskino«, das immer von der Gemeinschaft, nie vom Individuum her gedacht ist. Filme wie Alain Gomis’ Tey, der auf dem letztjährigen FESPACO-Festival im burkinischen Ouagadougou, immer noch der wichtigste Treffpunkt der afrikanischen Filmindustrien, den Hauptpreis gewann und auch im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war, oder der Cannes-Gewinner Ein Mann, der schreit von Mahamat-Saleh Haroun handeln von Einzelschicksalen. Sie bieten auf ihren Touren durch die internationalen Festivals dem westlichen Publikum einen unmittelbareren Zugang zu den ohnehin schon schwer vermittelbaren gesellschaftlichen Konflikten. Auch das mag ein Grund sein, warum Timbuktu trotz durchweg begeisternder Kritiken in Cannes dieses Jahr leer ausging. Sissako plädiert in seinen Filmen für Vielstimmigkeit: offene Bilder statt geschlossener Erzählungen.

Der Gedanke, dass das Kino dem Volk seine Stimme zurückgeben muss, um die Erfahrung der Entfremdung zu überwinden, klingt besonders einleuchtend vor dem Hintergrund, dass das Kino in Afrika momentan weder als Unterhaltungsform noch als »Schule des Lebens« einen allzu hohen Stellenwert genießt. In den westafrikanischen Ländern, in denen die Filmindustrien traditionell relativ gut aufgestellt sind, schließt seit einigen Jahren ein Kinosaal nach dem anderen. Und lokale Initiativen wie das Zentrum Imagine des burkinischen Regisseurs Gaston Kaboré, das jungen Filmemachern die technischen Möglichkeiten bietet, eigene Filme zu drehen, gibt es nicht genug. Der Exodus afrikanischer Filmemacher nach Europa, wo ausreichend Produktions- und Distributionsmittel zur Verfügung stehen, ist auch diesen strukturellen Bedingungen geschuldet.Nichtdestotrotz haben sich im Windschatten von Leitfiguren wie Abderrahmane Sissako und Mahamat-Saleh Haroun neue Filmemacher etabliert, die mit einem weniger ideologischen Ansatz als frühere Generationen Geschichten erzählen, in denen persönliche und politische Erfahrungen zusammenfallen. Dazu gehören die kenianische Regisseurin Judy Kibinge (deren letzter Film von Tom Tykwer koproduziert wurde), Newton Aduaka aus Nigeria oder Joao Viana aus Guinea-Bissau. Problematisch daran ist, dass Weltkino bis auf einige namhafte Ausnahmen nur in Form nationaler oder regionaler »Wellen« wahrgenommen wird. Da Filme aus Afrika es bislang aber nur vereinzelt in europäische Kinos schaffen, bekommt man außerhalb ihrer Produktionsländer diese Entwicklung allenfalls auf ausgewählten Festivals mit. Solange dies so ist, muss ein Regisseur wie Abderrahmane Sissako eben stellvertretend für das Kino der gesamten Subsahara stehen.

... zum Interview mit Abderrahmane Sissako

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