Der Harte und der Zarte

J.K. Simmons in der Nahaufnahme

Nach dem Golden Globe vielleicht noch den Oscar: J.K. Simmons, als mal strenger, mal nachsichtiger Glatzkopf auf die Rolle des tragenden Nebendarstellers festgelegt, erlebt mit »Whiplash« sein Karrierehoch

Der Mann hat gut zu tun: Allein für den Zeitraum 2013/14 listet die Filmografie von J.K. Simmons 18 Kino- und Fernsehauftritte. Ein Titel ist zweimal dabei: Das Musikdrama Whiplash, in dem er einen psychotischen Hochschulprofessor verkörpert. Der Part hat Simmons bereits 20 Darstellerpreise eingebracht, Film und Hauptdarsteller sind auf einmal in aller Munde. Die Titeldopplung in der Filmografie rührt daher, dass Whiplash auf einem 2013 gedrehten Kurzfilm basiert – vom ambitionierten 18-Minüter zum heißen Oscar-Anwärter: In gewisser Weise passt das zu Simmons' Karriere, denn über Jahre war er meist der Typ für die kleinen Rollen, aus denen er dann etwas ganz Großes machte. Als cholerischer, bauernschlauer Chefredakteur in Sam Raimis Spider-Man-Trilogie oder als sarkastischer CIA-Abteilungsleiter in Burn After Reading war er ein »scene stealer« par excellence.

Seine stahlblauen Augen, der stechende Blick und der kahle Schädel strahlen eine Strenge aus, die in seltsamem Kontrast zu seiner »knautschigen«, an einen müden Basset- Jagdhund erinnernden Physiognomie steht. Aber genau dieser Mischung dürfte es zu verdanken sein, dass Simmons ebenso überzeugend Melancholiker geben kann wie Autoritätspersonen. In seiner rund 140 Titel umfassenden Filmografie wimmelt es von Berufsbezeichnungen wie Captain, Agent, Detective und Sherrif. Von einer speziellen Autorität war auch die Rolle, mit der ihm 1997 der Durchbruch gelang: Als brutaler Neonazi in der gefeierten HBO-Gefängnisserie Oz – Hölle hinter Gittern. Doch Simmons fürchtete, für den Rest seiner Karriere als »Nazi-Bastard im Fernsehfilm der Woche« abgestempelt zu werden. Sein Part als umgänglicher Psychologe in der Krimiserie Law & Order sorgte zwar für ein anderes Image. Aber dafür galt er fortan als Idealbesetzung für Ärzte, Polizisten und Managertypen aller Art. In Machtlos war er ein unterkühlter CIA-Agent, in Es begann im September ein ungemein versierter Starchirurg. Oft spielt er Typen, die mit ihrem Platz im Leben im Reinen sind und der Welt mit einem gewissen Spott begegnen, aber auch ganz schön aus der Haut fahren können. In einer amüsanten Werbekampagne der Versicherungsgesellschaft Farmers Market besetzte man ihn als Professor mit Nickelbrille, Tweedjackett und trockenem Humor; in den Spots für den Schokosnack M&M's leiht er seit Jahren dem gelben Bonbon seine Stimme.

Anders gesagt: Lange war Simmons ein Schauspieler, der zwar sehr gefragt ist, aber nur selten die wirklich spannenden Rollen bekommt. Neben Sam Raimi erkannte vor allem Ivan Reitman sein enormes Talent als »tragender« Nebendarsteller. Als einziges Mitglied des Reitman-Teams wirkte Simmons in bislang jedem seiner Filme mit. Und stets hat er eine Rolle, die der Geschichte eine Facette hinzufügt, sei es als zynischer Tabak-Boss in Thank You For Smoking oder als entlassener Angesteller in Up in the Air, der George Clooneys neoliberalem Zynismus ein »Go Fuck yourself!« entgegenblafft – und sich dann doch von luftigen Versprechen einwickeln lässt. Vor allem aber der liebende, lakonisch-humorvolle Vater in Juno brachte Simmons jede Menge Kritikerlob ein – und eine weitere Vaterrolle in der schönen Buddy-Komödie Trauzeuge gesucht.

Eine Kombination von Simmons angestammten Figurentypen ist nun sein Part in Whiplash, wenn auch mit bemerkenswert umgekehrten Vorzeichen: Sein besessener Musikprofessor ist Drill-Sergeant und Mentor, egomane Autoritätsperson und grausame Vaterfigur zugleich. Sein alter Freund Jason Reitman verschaffte ihm diese Rolle, die eine neue Etappe seiner Karriere einleiten könnte. In Reitmans nächstem Film soll Simmons auch wieder dabei sein. »Er ist meine Muse«, sagte Reitman in einem Interview, »Hitchcock hatte seine Blondinen, und ich habe J.K. Simmons«.

... zur Kritik von Whiplash

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