Kritik zu Mother!

© Paramount Pictures

Im neuen Film von Darren ­Aronofsky arbeiten sich Jennifer Lawrence und Javier Bardem durch ein Gestrüpp von Genremotiven. Das reicht vom Spukhaus über den ungebetenen Gast bis zur Schwangerschaftsneurose

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Eine junge Frau, deren Name nie genannt wird, wacht auf und ertastet schlaftrunken den Platz neben sich. Als sie spürt, dass er leer ist, schält sie sich aus den Laken und beginnt, auf der Suche nach ihrem Mann, wie in Trance die Räume ihres weitläufigen, viktorianischen Landhauses zu durchstreifen. Vom ersten Stock geht es ins Erdgeschoss, vorbei an erlesenen restaurierten Vintage-Möbeln durch Wohnzimmer, Bad und Küche zur Verandatür, mit einem Blick über die unberührte Weite flauschiger Wiesen und dunkler Wälder, ohne menschliche Lebenszeichen, ohne Zufahrtswege, Parkplätze, Autos. Darren Aronofskys Stammkameramann Matthew Libatique bleibt immer ganz nah dran und verweigert den Überblick. Wie die meisten Filme des Regisseurs taucht auch dieser in die subjektive Wahrnehmung seiner Hauptfigur ein, überträgt sie über Kamerabewegungen, Geräusche und Musik ganz direkt auf den Zuschauer. Wie zuvor »Pi«, »Requiem for a Dream« und »Black Swan« bewegt sich der Film auf der magischen Grenze zwischen Realität und Imagination, an der sich die Gewissheiten der Wahrnehmung alptraumartig auflösen.

Von Anfang an wohnt den Bildern eine unheimliche Abgeschiedenheit inne. Mann und Frau haben keine Namen und keine Anbindung an die Außenwelt – weder Handy noch Fernseher. Es ist, als wären das Haus und das darin lebende Paar völlig entrückt und aus der Zeit gefallen, losgelöst von allen weltlichen Dingen. Zunächst sind es nur Nuancen der Irritation, die sich einschleichen. Hier ein Griff  zur Schulter, der eher Angriff als Umarmung ist, dort eine Bemerkung, die einen Hauch zu hart kommt. Sie wirkt ein bisschen zu vereinnahmend, bedürftig und anhänglich, er zu distanziert und egozentrisch. Während er als Schriftsteller mit einer Schreibblockade ringt, restauriert sie die in einem verheerenden Brand zerstörte Villa liebevoll und detailreich, mit alten Techniken und Geräten. Irgendwann sagt sie, sie wolle ein Paradies errichten, eine von vielen biblischen Anspielungen. Fast symbiotisch scheint sie mit dem Haus verbunden. Wenn sie die Wände mit den Händen berührt, nimmt sie Kontakt zu dem Haus auf, in dessen Innerem Organe pulsieren. Langsam treiben die surrealen Tendenzen auf ein Horrorszenario zu, wobei nicht ganz klar wird, wer der Gegner ist: Das Spukhaus? Der Ehemann? Oder sind es die Neurosen einer überempfindlichen Schwangeren, mit Anklängen an »Rosemarys Baby«?

Dann bricht die Außenwelt herein, zunächst in Gestalt eines ebenfalls namenlosen Arztes (Ed Harris), der unvermittelt vor der Tür steht. Auf den Besucher reagieren Mann und Frau ganz unterschiedlich – während sie den Eindringling abblockt, nimmt er ihn als willkommene Ablenkung gastfreundlich auf. So nehmen die Ereignisse ihren Lauf. Freudig überrascht nimmt der Gast zur Kenntnis, dass sein Gastgeber der Autor seines Lieblingsbuches ist. Später wird sich herausstellen, dass er keineswegs ganz zufällig gekommen ist. Damit stehen auch das Künstlerthema im Raum, das den Schriftsteller mit dem Filmregisseur verbinden: Es geht etwa darum, wie Ruhm und Verehrung die Eitelkeit bedienen, um den Preis der Privatsphäre. In den Augen der Frau, deren Perspektive der Film übernimmt, sind das gefährliche Einflüsse, die den Paarfrieden bedrohen. Der Gast verqualmt das Haus, hustet und spuckt Blut, die Männer trinken. Am nächsten Tag steht ganz selbstverständlich die Frau des Arztes (Michelle Pfeiffer) vor der Tür, die sich im Haus so übergriffig verhält, als wäre es ihres. Von den am nächsten Tag dazu stoßenden erwachsenen Söhnen wird die Hausherrin dann auch noch angeblafft, wer sie denn sei. Über einem heftigen Erbstreit kommt es zum Brudermord. Am nächsten Morgen schwärmen die Trauergäste ins Haus. Bis zu diesem Punkt ist »Mother!« grandioses Psycho-Kino; doch im letzten Drittel mündet der diffuse Horror in orgiastisches Chaos: Als habe der Regisseur nicht gewusst, wie er die Geister, die er gerufen hat, wieder loswird.

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