Kritik zu Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne

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Singen um jeden Preis: Xavier Giannoli (»Chanson d'Amour«) macht aus der ­Geschichte über eine unbegabte Sängerin eine Parabel über den Zwang zur Schmeichelei und mangelnde Selbstwahrnehmung

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Marguerite Dumont (Catherine Frot) singt voller Temperament, Inbrunst und Leidenschaft – aber ohne jegliches Talent. Ihre Darbietung von Mozarts »Königin der Nacht« ist unerträglich. Sie trifft keinen einzigen Ton. In den Höhenlagen kippt die Stimme auf geradezu schmerzhafte Weise und führt die Meisterkomposition ins Reich qualvoller Disharmonie. Das Publikum, das sich im Schloss der Baronin am Rande von Paris zu Beginn der zwanziger Jahre versammelt hat, lässt sich jedoch nichts anmerken. Nur gelegentlich entgleiten die Gesichtszüge. Einige haben sich in den Salon geflüchtet. Aber als Marguerite den letzten falschen Ton ihres Benefizkonzerts für die Kriegswaisen gesungen hat, umgibt sie tosender Applaus. Ein bizarres, heuchlerisches Ritual, dem sich die feine Gesellschaft angesichts der Stellung und des Reichtums der unbegnadeten Sopranistin mit masochistischem Gleichmut ergibt. Selbst ihr Ehemann Georges (André Marcon), der wegen vorgeblicher Autopannen immer zu spät zu den Konzerten kommt, bringt es nicht übers Herz, der Gattin die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Aber unter das Establishment haben sich an diesem Abend die junge Sängerin Hazel (Christa Théret) und der Journalist Lucien (Sylvain Dieuaide) gemischt, die einen gewissen Camp-Faktor in der Veranstaltung sehen und von der Diskrepanz zwischen künstlerischer Leidenschaft und musikalischem Unvermögen in Marguerites Darbietungen fasziniert sind. Lucien schreibt eine ironische, aber auch liebevolle Eloge auf die eigenwillige Sängerin. Der Zeitungsartikel ermutigt Marguerite zu einem Vorhaben, von dem sie schon lange träumt: ein Konzert in der Pariser Oper vor zahlendem Publikum.

Die Geschichte von Xavier Giannolis Tragikomödie »Madame Marguerite« erinnert ein wenig an das Märchen »Des Kaisers neue Kleider« von Hans Christian Andersen, orientiert sich aber an einem realen Fall. Die amerikanische Sängerin Florence Foster Jenkins brachte es Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als miserable Sopranistin zu beträchtlichem Ruhm und gab im Alter von 76 Jahren sogar ein Konzert in der New Yorker Carnegie Hall. Ihre Biografie wird demnächst von Stephen Frears mit Meryl Streep in der Hauptrolle verfilmt. Giannoli übernimmt in »Marguerite« allerdings nur die Grundidee. Er verfrachtet die Geschichte ins Paris der zwanziger Jahre und arbeitet sich nach der grotesken Auftaktsequenz immer tiefer in die Persönlichkeit seiner tragischen Hauptfigur ein. Daraus wird eine interessante Studie über fehlgeleitete Selbstwahrnehmung und die fragile Lebenskraft, die aus der Verleugnung eigener Unfähigkeiten entstehen kann.

Mit wohldosierter Exzentrik spielt ­Catherine Frot die leidenschaftliche und talentlose Operndiva, in deren Augen man manchmal den Schimmer der Erkenntnis für Sekundenbruchteile aufflackern – und wieder erlöschen – sieht. Trotz ihrer skurrilen Prämisse kommt diese Tragikomödie allerdings im Gesamteindruck ein wenig zu wohltemperiert daher, so dass sich weder die humorvollen noch die ernsten Momente auf der Leinwand so richtig entfalten können.

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