Kritik zu Burning

© Capelight Pictures

2018
Original-Titel: 
Beoning
Filmstart in Deutschland: 
06.06.2019
M: 
L: 
148 Min
FSK: 
12

Ein Möchtegernschriftsteller, seine Freundin aus Kindertagen und ihr neuer reicher Freund: Lee Chang-dong (»Secret Sunshine«, »Poetry«) verwandelt Motive von Haruki Murakami in einen Thriller, der zugleich kritische Bestandsaufnahme der koreanischen Gesellschaft ist

Bewertung: 5
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)

Was wissen wir? Wir wissen, dass Lee Jong-su einen Job als Lieferant hat und dass er eines Tages, als er einen Haufen Zeug bei einem Straßenstand abgibt, eine ehemalige Mitschülerin trifft: Shin Hae-mi, die als Animateurin leicht bekleidet vor Warenhäusern Sonderangebote anpreist. Man raucht also eine Pausenzigarette miteinander und reminisziert. Jong-su möchte Schriftsteller werden, hat aber noch nicht den richtigen Stoff gefunden; Hae-mi fragt nach dem Sinn des großen Ganzen und probiert einstweilen Verschiedenes aus; keiner von beiden hat es auf dem Weg zum jeweiligen Ziel bislang sonderlich weit gebracht, für Resignation jedoch sind beide gerade eben noch zu jung.

Was wissen wir sonst noch? Hae-mi tritt eine Reise nach Afrika an, bittet Jong-su, währenddessen ihre Katze zu versorgen, und hat bei ihrer Rückkehr einen Typen namens Ben im Schlepptau, einen reichen Müßiggänger, den Jong-su notgedrungen hinnimmt. Doch dann ist Hae-mi eines Tages verschwunden und Jong-su fragt nach ihr und sucht sie und vermisst sie immer schmerzlicher. Und Ben täuscht seine ­Ahnungslosigkeit möglicherweise nur vor und möglicherweise ist etwas entsetzlich Finsteres passiert und sehr wahrscheinlich wird niemand jemals etwas erfahren. Denn wir wissen zwar eine ganze Menge, aber ­zugleich wissen wir zu wenig.

Seit seiner Premiere im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes sorgt das südkoreanische Charakter-Thriller-Drama »Burning« (Beoning) für Aufsehen. Denn Regisseur Chang-dong Lee liefert darin den Beweis, dass nicht unbedingt etwas herkömmlich Spannendes zu passieren braucht, damit ein Publikum gebannt verfolgt, was sich zuträgt, immer in der Hoffnung, die Dinge mögen sich doch noch aufklären, vielleicht. Wobei sich sogleich auch die Frage stellt, ob es Lee tatsächlich darum geht, eine Geschichte zu erzählen, in der die Dinge am Ende aufgeklärt werden? Wohl eher nicht. Zum einen, weil die Welt und das Leben es realiter ja auch nicht so sehr mit den sauberen Schlüssen haben.

Zum anderen, weil Burning nicht umsonst auf einer Kurzgeschichte des japanischen Rätselepikers Haruki Murakami basiert: »Barn Burning«, erstmals 1983 erschienen – in deren Handlungsaufbau nun Lee zusätzlich kunstvoll Motive aus der gleichnamigen, 1939 erschienenen Kurzgeschichte von William Faulkner einflicht. Und schließlich kennt die Sprache der Gefühle den Begriff des brennenden Begehrens oder ganz all­gemein des Brennens für eine Sache. Auch von diesem Brennen handelt »Burning«.

Und der Funke springt über. Wichtiger noch als das unaufklärende Voranschreiten des Thrillergeschehens sind die Konturen der Figuren, ist deren Verhältnis zueinander. Die Pausen in den immer etwas diffus formulierten Sätzen, die Blicke, die selten eindeutig sind, die seltsam ziellosen Aktionen, das abwartende Einander-Belauern und erst recht die Heftigkeit und Intensität einer unvermittelt gezeigten Emotion, die mit einem Mal das Korsett des sozial sanktionierten Verhaltenskodex aufsprengt – all diese Details der Charakterzeichnung begründen gemeinsam mit Lees geduldiger und aufmerksamer Beobachtung die Welthaltigkeit dieses Films.

Vor allem Jong-su und Hae-mi sind in ihrem gesellschaftlichen Unbehaustsein plausible Gestalten: Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen in einer Grenzregion zu Nordkorea, das den lieben langen Tag per Lautsprechergeplärr Propaganda über eine Gegend auskippt, die vom verwitterten Plastik aufgegebener Gewächshäuser geprägt ist. Nun könnten sich Jong-su und Hae-mi zusammentun und allen Widrigkeiten ins Gesicht lachen. Dann aber ist da dieser Schnösel mit seinem Porsche und den Verlockungen des Geldes, den Jong-su einmal einen koreanischen »Gatsby« nennt. Ben entfacht das Leuchten auf der anderen Seite des Ufers, das Feuer, das sie alle ­verbrennt.

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