Kritik zu Astrid

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Von Lindgrens schwierigen Anfängen als ledige Mutter im Schweden der 20er Jahre wissen nicht viele ihrer Fans. Pernille Fischer Christensen bringt die formativen Jahre der großen Kinderbuchautorin auf die Leinwand

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Rahmenhandlungen sind oft reine Anbiederungen an die Gegenwart, die dem Zuschauer den Einstieg in ferner zurückliegende Geschichte erleichtern sollen. In »Astrid« aber nutzt Regisseurin Pernille Fischer Christensen sie für etwas anderes. Nicht nur zu Beginn, sondern auch zwischendurch unterbricht sie ihr Drama einer jungen ledigen Mutter im Schweden der 20er Jahre, und man sieht den hageren Rücken einer alten Frau Jahrzehnte später. Sie sitzt an einem Schreibtisch, auf dem sich die Fanpost stapelt. Mit Leichtigkeit will man in der kantigen Gestalt jene ­Astrid Lindgren erkennen, deren Bücher so vielen Kindern in der Welt so viel Freude gebracht haben. Während die Kamera über die bunt bemalten Postkarten und selbst gebastelten Briefumschläge voller Glückwünsche fährt, werden aus dem Off ein paar Stellen verlesen. »Liebe Astrid, wie kommt es, dass du so gut über Kinder schreiben kannst, wo es doch so lange her ist, dass du eines warst?«, fragt jemand. Nicht, dass der Film, der von den schwierigen Jugendjahren Lindgrens erzählt, darauf dann die Antwort liefert. Die Fanpost erinnert den Kinozuschauer vielmehr an die Unmittelbarkeit, die Lind­gren durch ihre Bücher herzustellen wusste. An das Gefühl von Zuhause, das man lesend in Bullerbü empfand, an die Nähe, die man zu Lisa, Lasse, Bosse und Ole und all den anderen spürte.

Lindgrens Bücher handelten von glücklichen Kindheiten und heilen Welten und waren doch nie Kitsch. Als Inspiration hat sie selbst stets die eigene Kindheit angegeben. Und damit setzt auch Christensens Film ein, mit ländlicher Idylle, tobenden Kindern in bescheidenen Verhältnissen und netten, wenn auch strengen Eltern. Astrid (Alba ­August) sticht von den ersten Szenen an durch ihre Lebendigkeit heraus, durch einen fast schon überwachen Sinn für ihre Umgebung, die mit ihrem quecksilbrigen Temperament nicht immer mithalten kann. Seien es die Familienessen zu Hause, der Gottesdienst oder die Dorftänze, allem muss Astrid rastlos ein Mehr an Unterhaltung abringen. Es ist ein Glück, dass sie kurz nach der Schule als Praktikantin bei der kleinen Ortszeitung anfangen kann. Und es ist kein Wunder, dass der um einige Jahre ältere Chefredakteur der Zeitung dem vitalen Charme seiner jugendlichen Mitarbeiterin nicht lange widerstehen kann. Christensen zeigt die Beziehung im Übrigen als vollkommen einvernehmlich. Im Schweden der 20er Jahre war sie ein Skandal, nicht weil ­Astrid noch keine 18 und er ihr Chef war, sondern weil er ­
Familie und Kinder hatte.

So richtig kommt der Film erst in die Gänge, als Astrid schwanger wird. Nun ist die junge Frau nicht mehr das Lebenskraft versprühende naive Mädchen; in der Auseinandersetzung mit den Versprechen des Kindsvaters, der Ablehnung durch die Eltern und den harten Tatsachen einer Gesellschaft, die für ledige Mütter schlicht keinen Platz hat, bekommt die Person Astrid Lindgren langsam Kontur – und der Film sein eigentliches Drama. Christensen erzählt konventionell, aber mit präzis dosiertem Mitgefühl. Den Lindgren-Fans dürfte die Autorin nach ­diesem Film trotzdem noch einmal ein Stück näherrücken.

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