Ein Mann, der nicht ankam, eine Frau in der Gefahrenzone und ein Regisseur mit Zweitbegabung

Ein Studienkollege von mir hatte bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Zbigniew Cybulski. Das lag daran, dass sie von entsprechender Statur waren und ihre Stirn und Mundwinkel eine gewisse Verwandtschaft aufwiesen. Entscheidender für diesen Eindruck war jedoch, dass beide eine große, getönte Brille trugen.

Ich war nicht der einzige Kommilitone, dem diese Ähnlichkeit mit dem "polnischen James Dean" auffiel. Als Andrzej Wajdas »Asche und Diamant«, mit dem Cybulski seinen Durchbruch feierte, in einem Repertoirekino lief, wollten wir diese und den Ruf des Films überprüfen. Besagter Studienfreund, dem der Vergleich durchaus schmeichelte, schloss sich uns an. Ziemlich schnell gaben wir unser erstes Vorhaben auf, da der Film uns fest in seinen Bann zog. Das hatte wesentlich mit seinem Hauptdarsteller zu tun, der eine ganz eigene Aura hatte, die uns faszinierte und zugleich fremd war, da wir damals wenige polnische Klassiker kannten. Wir waren eingenommen von diesem Ausnahmeschauspieler und vergaßen darob bald den ursprünglichen Anlass unserer Begeisterung.

»Die Handschrift von Saragossa«, der in den 1980ern ständig in Berlin lief, sahen wir uns selbstredend ebenfalls an. Später merkte ich, dass Cybulski auch in kleineren Rollen immense Strahlkraft besaß, damals namentlich in »Nachtzug« von Jerzy Kawalerowicz und viel später in Wajdas tollem Ensemblestück »Die unschuldigen Zauberer«. Aber mit »Nachtzug« ist das Stichwort gefallen und fast schon der Titel der Retrospektive erklärt, die ihm das Berliner Zeughauskino ab dem 2. Juni ausrichtet. »Der Mann, der nicht ankam« beruft sich auf die Volkstümlichkeit dieses jungen Rebellen, der keinen Sportwagen fuhr, sondern die notorisch unpünktliche Bahn nahm, die auch eine Rolle spielte bei dem frühen, allzu frühen Tod dieses einzigartigen Leinwandidols. Vielleicht komme ich zu einem späteren Zeitpunkt auf die Filmreihe zurück, die noch bis zum 29. Juni läuft.

Dasselbe würde ich mir für eine Retrospektive wünschen, die momentan im Münchner Filmmuseum läuft. Dort sind, neben ausgewählten Arbeiten als Schauspielerin, die sechs Regiearbeiten des japanischen Filmstars Kinuyo Tanaka zu sehen. (Der Mittelteil der Überschrift bezieht sich auf eine ihrer ersten Rollen bei Ozu). Im letzten September schrieb ich in "Autorinnen vor und hinter der Kamera" ausführlicher über sie - und entdecke gerade in der Suchmaschine von epd Film, dass sie mich in den letzten Jahren sowieso häufig beschäftigt hat. Aber heute möchte ich Sie erst einmal an den lebhaften, informativen und allemal schönen Text von Lukas Foerster verweisen, der im Programmheft abgedruckt ist: https://www.muenchner-stadtmuseum.de/sammlungen/filmmuseum/filmreihen/kinuyo-tanaka

Auch mein dritter Programmhinweis knüpft an eine frühere Erwähnung an dieser Stelle an. In "Wer sagt denn, dass Anschlüsse immer stimmen müssen?" vom 5. März 2015 berichtete ich kurz von einer denkwürdigen Begegnung zweier ferner filmischer Universen: der augenblicklich aufkeimenden und auch ohne große Dolmetscherhilfe sich entwickelnden Komplizenschaft zwischen Ed Lachmann und dem DEFA-Dokumentarfilmregisseur Jürgen Böttcher. Das Babylon Berlin zeigt vom 1. bis 12. Juni eine Werkschau, in der auch die zweite künstlerische Existenz Böttchers, als Maler Strawalde, zu ihrem Recht kommt. Den Auftakt bildet Morgen sein einziger, seinerzeit (1966) verbotener und noch immer großartiger Spielfilm »Jahrgang 45«. Böttcher wird ihn persönlich vorstellen.

Ed Lachman war fasziniert von seiner Doppelbegabung. Ihre Begegnung fand auf der ohnehin überaus kommunikativen Viennale statt und ich glaube, der neugierige Amerikaner schaute sich bei dieser Gelegenheit tatsächliche einige der Filme seines ostdeutschen Kollegen an. Eines Abends saßen wir im Festivalzentrum beisammen, während im Hintergrund die »Siebzehn Hippies« spielte. In der Tat, es war das Jahr, in dem »Halbe Treppe« von Andreas Dresen auf der Viennale gezeigt wurde. Böttcher genoss sichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm die Betreuerinnen vom Festival schenkten. Sie waren erstaunt, wie jung er wirkte. Er schob das auf die guten Gene, die er von seiner Mutter geerbt hatte. Für Komplimente war er empfänglich. Die Wechselfälle seiner Karriere hätten ihm genug Grund zur Verbitterung geliefert, aber die fiel an diesem Abend magisch von ihm ab. Irgendwann gesellte sich Andreas Dresen zu unserer Runde, ganz bescheiden, fast schüchtern und voller Ehrfurcht vor seinem altgedienten Kollegen.

Es kam zu einem kurzen gestischen Missverständnis, als Dresen ihm die Hand schütteln wollte und dieser das zunächst nicht bemerkte. Lachman und Böttcher sagten sogleich, und wie aus einem Mund: "Umberto D." Der lässlich peinliche Moment hat sie augenblicklich an ein Missverständnis in Vittorio de Sicas Film erinnert. Der verarmte Professor Umberto D. ist zum Bettler geworden und streckt seine Hand für ein Almosen aus. Der Passant, der an ihm vorbeigeht, ist ein Bekannter aus besseren Zeiten, der die Geste als Gruß auffasst. Eine erschütternde Pantomime. Die jetzige Situation war natürlich nicht dieselbe, vielmehr sogar deren genaues Gegenteil. Aber wir alle mussten lächeln. Mich freute ungemein, wie die universelle Sprache des Kinos diese unterschiedlichen Welten und Generationen in Einklang zusammenbrachte.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt