Nebenverdienst

Auf dem Festival in Sundance führten gerade George Lucas und Robert Redford ein angeregtes Gespräch. Die beiden Veteranen des New Hollywood tauschten vor interessiertem Publikum ihre Ansichten darüber aus, wie aufregend das Filmgeschäft einst war und wozu es heute geworden ist. Lucas tritt bei solchen Gelegenheiten in letzter Zeit als kulturpessimistischer Elder Statesman auf.

Diesmal verlieh er zum Beispiel seiner Verwunderung Ausdruck, wie viel Zeit die Leute heutzutage mit dem Anschauen putziger Katzenvideos im Internet verplempern. Vor allem beklagte er den Zustand Hollywoods, das aktuell nur noch Zirkus, aber keine Substanz mehr hervorbringe. Das sind erstaunliche Worte aus dem Munde eines Mannes, der Mitte der 70er im Zweigang mit Steven Spielberg das Blockbuster-Kino aus der Taufe hob und damit der Aufbruchsbewegung des New Hollywood mehr oder weniger das Wasser abgrub. Aus seiner Sicht trägt er dafür keine Verantwortung und erblickt darin auch keinen Anlass zur Reue. Warum auch, er hat der Welt schließlich Star Wars geschenkt. Am Ende kam das Gespräch auf seinen unermesslichen Reichtum. Die nur auf den ersten Blick verblüffende Antwort des Erfinders von Luke Skywalker und Co. lautete: das wahre Geld mache er mit Lizenzen für Action-Figuren.

Einer seiner Zeitgenossen, die immer noch für ihr Geld arbeiten müssen, ist Martin Scorsese. Wenn alles nach Plan verlief, haben gestern in Taiwan die Dreharbeiten zu Silence begonnen, welche allerdings vorab unter einem schlechten Stern standen: Vor ein paar Tagen kam ein Tischler ums Leben und wurden zwei weitere schwer verletzt, als ein Dach im Chinesischen Kulturzentrum von Taipei einstürzte, das Ang Lee seinem Kollegen als Drehort empfohlen hatte. Silence ist ein Projekt, das Scorsese seit Jahrzehnten verfolgt. Es handelt von portugiesischen Jesuiten, die im 17. Jahrhundert Japan missionieren wollen. Scorseses Hartnäckigkeit ist bewundernswert und die Besetzung viel versprechend (Liam Neeson, Andrew Garfield u.a.): Man darf gespannt sein. Leider erfüllen Scorseses langgehegten Projekte nicht immer die Erwartungen - Gangs of New York wies doch erhebliche Schleifspuren auf, war schon überreif, als er ihn endlich realisierte.

Momentan bin ich ohnehin neugieriger auf einen anderen Scorsese-Film. Damit meine ich nicht eine dieser Musik-Dokumentationen, die er nebenbei aus dem Ärmel schüttelt und auch nicht sein anscheinend abgesagtes Bill-Clinton-Porträt (Sie sehen, der arbeitet wirklich hart für sein Geld), sondern The Audition, der gerade in der Nachproduktion steckt. Es ist ein 70 Millionen Dollar teurer Werbefilm für einen Casino-Komplex in Macao, der Mitte des Jahres eröffnet werden soll. Wie lang er werden soll, weiß momentan wahrscheinlich nicht mal die Cutterin Thelma Schoonmaker. Aber ein Trailer existiert bereits, der einen selbstironischen Scorsese in Aussicht stellt: Robert De Niro und Leonardo di Caprio reisen nach Macau und müssen bei der Ankunft von Scorsese erfahren, dass sie beide für die selbe Rolle vorsprechen sollen. Die Zwei haben ja schon Erfahrung mit Casino-Filmen von Scorsese, der Erste als Geschäftsführer, der zweite als Besitzer. Das Schauspiel ihrer gekränkten Egos ist ganz hübsch; in der Schlusspointe kommt noch Brad Pitt ins Spiel.

Schwer zu sagen, wie viel Elan der Regisseur in derartige Projekte steckt. »The Key to Reserva«, sein Werbespot für einen spanischen Cava-Hersteller, war jedenfalls eine vergnügliche Hitchcock-Hommage. 70 Millionen gibt sicherlich niemand für eine bloße Fingerübung aus. Das Drehbuch stammt von Terence Winter, der The Wolf of Wall Street schrieb und sich so als Spezialist für den Rausch des Geldverbrennens empfahl. Mit der Kehrseite des entfesselten Kapitalismus' in China wiederum beschäftigt sich Jia Zhangke in Smog Journeys, der im Auftrag von Greenpeace entstand. Er dauert sieben Minuten und hat sicher weniger gekostet hat, als Lucas in dieser Zeit mit Spielzeugfiguren verdient.

Wie dringlich das Problem des Smog und der Feinstaubbelastung in China sind, kann selbst ein argloser Tourist bezeugen, den es in den Norden, nein, im Grunde in irgendeine Stadt dort verschlägt. Jia hat den Werbespot zweifellos auch aus eigener Betroffenheit gedreht. Er wuchs in der Bergbauregion Shanxi auf und sein Vater starb an Lungenkrebs. Diese Betroffenheit findet diskret Eingang. Smog Journeys ist poetische Propaganda. Er handelt von allgegenwärtiger Bedrohung und Individuen, die ihr ausgesetzt sind. Auf Dialoge kann er verzichten, man versteht auch so, dass es um mehrere Generationen einer Familie geht, die alle unter der Luftverschmutzung leiden. Vom jüngsten Kind, einem Baby, ist ein Röntgenbild zu sehen, das ein Arzt erläutert. Der Film zieht Kreise. Immer wieder sind Menschen und Menschenmassen mit Atemschutzmasken zu sehen. Es gibt sie in hunderterlei Formen, zweifellos ein florierender und erfindungsreicher Wirtschaftszweig. Sie werden in jeder Lebenslage getragen, beim Telefonieren, beim Sport, bei einer Modenschau, im Schulbus. Kinder tragen gern solche mit Tiergesichtern darauf.

Jia inszeniert das unaufgeregt als Alltag. Statt Empörung teilt sich Wehmut mit. Der Film will nicht verschrecken, sondern bewegen. Ein Werbefilm, wenn auch nicht für, sondern gegen etwas. Die Bilder, die er findet, sind zuweilen gar ein wenig kitschig. (Der Schaden hält sich in Grenzen.) Den Regisseur von Still Life oder A Touch of Sin muss man suchen in diesen sieben Minuten. Er filmt hier nicht nur auf eigene Rechnung. Schauen Sie hin, Sie werden ihn finden. Es geht auch um Freiheit, die den Verhältnissen abzutrotzen ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der am Ende der kleine Junge auf einer verstaubten Windschutzscheibe zeichnet, ist beklemmend und schön. 

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