Und nach der Orgie gehen wir zu Tony Bennett

Dieser Text erzählt eine Geschichte mit glücklichem Ausgang, obwohl er eigentlich ein Nachruf ist. Die Nachricht vom Tod Paul Marursky erfüllt mich mit großer Trauer. Seine Filme haben mich stark geprägt. Für mich gehörte er zu den wichtigsten Regisseuren des New Hollywood - nicht obwohl, sondern weil er (ebenso wie Robert Atman und Alan J. Pakula) bei seinem Regiedebüt schon gut ein Jahrzehnt reifer war als seine Kollegen, die stracks von der Filmhochschule kamen. Über sein Werk will ich an dieser Stelle nicht viel schreiben. Den professionellen Teil meiner Trauerarbeit habe ich schon hinter mich gebracht (in der Hoffnung, dass er ein, zwei deutschsprachigen Tageszeitungen einen Nachruf wert ist), ich hatte im ersten Satz ja eine Geschichte versprochen.

Ich bin ihm zweimal begegnet. Zum ersten Mal auf dem Festival von Deauville (es muss 1986 oder '87 gewesen sein). Auf Anraten meines Freundes Lars-Olav Beier begleitete ich ihn zu diesem damals noch famosen Festival, auf dem „Zodff in Beverly Hills“ und eine Hommage an Richard Brooks liefen, der Mazursky in „Saat der Gewalt“ seine erste Kinorolle gab. Lars-Olav und ich waren aus der Sicht der französischen Verleiher damals unbeschriebene Blätter (wir veröffentlichten seinerzeit hauptsächlich in Stadtmagazinen), dennoch hofften wir, ein Interview mit ihm zu bekommen. Wir hatten uns gut vorbereitet, all seine Filme noch einmal gesehen. Aber die Presseleute wiesen uns ab. Das war eine enorme Enttäuschung, aber aufgeben wollten wir noch nicht. Wir setzten einen Brief für ihn auf, der eine schüchterne Liebeserklärung an ihn war und zugleich demonstrieren sollte, wie genau wir sein Werk kannten. Den gaben wir an der Rezeption seines Hotels ab. Am Abend sahen wir Mazursky zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern die Strandpromenade entlang spazieren. Freundlich grüßte er die Passanten, in einem höflich radebrechenden Französisch. Diese Beobachtung bestätigte das Bild des guten, weltoffenen Amerikaners, das ich von ihm hatte. Allein, uns fehlte der Mut, ihn anzusprechen.

Erst ein paar Tage später trauten wir uns, an der Hotelrezeption nachzufragen. Mit einem Mal erhob sich ein Sturm der Dringlichkeit um uns: Ja, versicherte die Presseagentin, Mr. Mazursky wolle uns unbedingt treffen, warum nur hätten wir uns nicht früher gemeldet? An diesem Morgen hatte er eigentlich mit seiner Familie einen Besuch der Invasionsstrände geplant. Aber wir bekamen ihn tatsächlich zu Gesicht. „You of all people“, sagte er, „should talk to me.“ Umgehend wurde ein Interviewtermin organisiert. Von dem Gespräch ist mir Vieles in Erinnerung geblieben, unter anderem, dass ich ihn in dem Glauben ließ, das Adjektiv bland (als Charakterisierung der US-Gesellschaft) tatsächlich zu verstehen. Das Interview war eine Lektion in Großzügigkeit. Damals hielt ich ihn für einen weit klügeren Chronisten des Zeitgeistes als Alan Rudolph, der ziemlich in Mode war. (Sie wissen schon, Kritiker haben die Angewohnheit, ein Werk gegen das eines anderen auszuspielen, um ihrem Urteil mehr Gewicht zu geben.) Er erzählte uns jedoch, dass er dessen neuen Film auf dem Festival unbedingt sehen wolle. Da unser improvisierter Termin auch ihm zu kurz war, nahm er uns mit zu seinem nächsten. „He won't mind“, sagte er über seinen nächsten Gesprächspartner, „He's only from the Hollywood Reporter.“ (Man beachte die Aushebelung der Hierarchien: Da konnte uns jungen Jourenalisten schon schwindlig werden!)Auch daraus sollte eine Geschichte mit einem glücklichen Ende werden: Der Interviewer war Robert Osborne, den ich bat, Passagen aus seinem Gespräch übernehmen zu dürfen und der seitdem zu einem teuren Freund geworden ist.

Ein paar Jahre später war Paul Mazursky in Berlin, um Interviews zu seiner Singer-Verfilmung „Feinde-Eine Liebesgeschichte“ zu geben. „You' ve lost weight“, empfing er mich. „You too“ erwiderte ich. Schon mal kein schlechter Anfang! UNd auch das wurde ein schönes Interview. Danach wollte er unbedingt eine Kabarett-Vorstellung besuchen. Die Presseagentin hatte „Die Stachelschweine“ vorgeschlagen und der Satiriker Mazursky erfreute sich an dem Namen: „The Porcupines“. Leider sollte „Feinde“ sein letzter großer Film bleiben Aus den Augen verlor ich seine Arbeit nicht. Zu „Der Hochzeitstag“ wollte ich ihn noch einmal für eine TV-Sendung interviewen, bekam auf mein Fax aber nie eine Antwort. Wahrscheinlich hatte er mich vergessen, vielleicht spürte er auch, dass ein schwacher Film kein interessantes Gesprächsthema für uns sei. Ich wünschte, ich hätte nicht nur sporadisch in seiner Autobiographie „Show me the Magic“ gelesen. Sie fragen sich, woher die Überschrift dieses Blogeintrags stammt? Es ist ein Zitat aus seinem Regiedebüt „Bob, Carol, Ted und Alice“, welches ich vergessen hatte, das eine gute Freundin jedoch in die Betreffzeile unseres E-Mail-Verkehrs setzte, als wir gemeinsam in ein Konzert gehen wollten, das Tony Bennett in Berlin gab. Zu einer Orgie kam es an dem Abend nicht (zumindest nicht in meinem Beisein), aber Bennett schlug uns alle mächtig in den Bann. Dem würde ich auch gern einmal begegnen. Das kann ja noch kommen, er ist nur ein paar Jahre älter als Paul Mazursky, der vorgestern im Alter von 84 Jahren einem Herzstillstand erlag.

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