Kritik zu Süt – Milch

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Im Vorläuferfilm Yumurta (»Ei«) kehrte Yusuf als erwachsener Poet nach dem Tod seiner Mutter in sein Dorf zurück. In Süt (»Milch«) begegnen wir der Figur nun als Jugendlichem wieder. Bal (»Honig«) wird die Trilogie abschließen

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Yusuf ist Anfang 20 und lebt mit seiner Mutter am Rande einer anatolischen Kleinstadt. Selbst hergestellte Milchprodukte sichern den beiden ein bescheidenes Einkommen. Doch Yusuf ist angeödet von diesem eintönigen Trott. Widerwillig erledigt der ambitionierte Poet die ihm auferlegten Pflichten. Seine erste Veröffentlichung in einer Literaturzeitung entlockt der Mutter nur ein zweideutiges Lächeln: Statt den Erfolg zur Kenntnis zu nehmen, liest sie aus dem Gedicht ihres Sohnes nur dessen erwachtes Interesse fürs andere Geschlecht heraus.

Der junge Mann ist genervt. Doch dieses Gefühl vermittelt der türkische Autorenfilmer Semih Kaplanoglu auf eine sehr eigene Weise. Süt, zweiter Teil einer Trilogie, ist ein meditativer Film, dialogarm und mit langen, statischen Einstellungen. Mit visueller Poesie analysiert Kaplanoglu die Bindung des Sohnes an die Mutter, die in der traditionellen türkischen Kultur besonders eng ist. Der Witwenstatus von Yusufs Mutter Zehra ist keine zufällige Konstellation. Die Abwesenheit des Vaters drückt die hermetische Erlebnisweise des jungen »Prinzen« aus. Der Kontaktversuch zu einer väterlichen Figur eines Professors scheitert. Die Einberufung zum Militär schafft auch keine Distanz zur Mutter, denn Yusuf wird wegen epileptischer Anfälle ausgemustert. Entsprechend verläuft sich die angedeutete Romanze mit einem Mädchen. Sein halbherzig erledigter Job als Milchmann symbolisiert die infantile Abhängigkeit von jenem mütterlich assoziierten Nahrungsmittel, dem der Film seinen Titel verdankt: Süt, Milch.

Bedroht wird die inzestuös gefärbte Dyade erst durch die mütterliche Liaison mit dem örtlichen Bahnhofsvorsteher. Kaplanoglu zeichnet die Mutter nicht als asexuell verschleiertes Wesen, sondern als attraktive Frau, die ihre Weiblichkeit wiederentdeckt. Yusuf reagiert klassisch und lauert dem Rivalen mit einem dicken Stein auf. Im Sinne einer slapstickhaften Illustration des ödipalen Konfliktes lässt er aber von seinem Tun ab. Lieber zieht er einen fetten Fisch aus dem Wasser. Als er in dieser traumartigen Sequenz der Mutter das phallische Monstrum präsentiert, zeigt sie das gleiche wissende Lächeln wie nach der Lektüre seines Gedichts.

Der statisch anmutende Film erzählt ein lautloses Drama. Die »innere Action« schildert Kaplanoglu unaufgeregt und beiläufig. Spektakulär ist nur die Eingangssequenz, in der die zentralen Metaphern etabliert werden: Eine Art Schamane hängt eine junge Frau kopfüber über einem Topf kochender Milch auf. Nach einer Weile kriecht jene Schlange aus ihrem Mund, die im Film später immer wieder auftaucht. Die rituelle Trennung von jenem »Objekt«, das die Mutter verschluckt hat, symbolisiert die schwierige Loslösung des Sohnes. Kaplanoglu archaischmoderne Geschichte über Schlangen und Mütter beschreibt nicht nur die türkische Kultur. Dennoch erfordert sein Film die Geduld des zweiten Blicks. Wer sich darauf einlässt, wird etwas entdecken.

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