Nahaufnahme von Charly Hübner

Ein echter Kumpel
Charly Hübner in »Junges Licht«

Charly Hübner in »Junges Licht«

Der Bergarbeiter, den Charly Hübner aktuell in Adolf Winkelmanns »Junges Licht« spielt, passt gut ins Bild. Der Charakterdarsteller aus Mecklenburg weiß nämlich, wie man eine Rolle erdet

Walter Collien ist ratlos. Der Arzt hat seiner Frau Ruhe verordnet: »Der Doktor sagt, es sei etwas Seelisches«, erzählt er seinem Kumpel in der Zeche. »Was ist das denn jetzt?«, entfährt es dem ungläubig. »Weiß ich nicht, hat irgendwas mit Gefühlen zu tun, oder mit den Nerven.« Charly Hübner spielt in Adolf Winkelmanns »Junges Licht« nicht einfach einen Bergarbeiter mit Hosenträgern und Schiebermütze, er spielt die Zeit gleich mit, die Enge der sechziger Jahre, die Unfähigkeit der Nachkriegsmänner, Gefühle zuzulassen, den schweren Kokon der Schuld, die Hilflosigkeit im Umgang mit den Kindern und den Frauen. Walter ist ein Bär von einem Mann, in dem die verletzliche Seele eines kleinen Jungen gefangen ist.

»Junges Licht« (2016)

Also eine ganz charakteristische Rolle für Charly Hübner, bei dem die mächtige Statur des breitschultrigen 1,92-Meter-Mannes immer im Widerspruch steht zur brüchig linkischen Hilflosigkeit darunter. Das gilt für den schweren Bullen Alexander Bukow, den er im Rostocker »Polizeiruf 110« und in einigen Folgen des Tatortreinigers verkörpert, ebenso wie für den großspurigen Sparkassenräuber in »Banklady«, für den Grenzbeamten Harald Schäfer, der am 9. November 1989 in der Bornholmer Straße den vorgezogenen Fall der Mauer einleitete, wie für den Aktenschieber, der Ulrich Mühe in der Nachtschicht auf dem Dachboden von »Das Leben der Anderen« ablöste.

Auffallend viele DDR-Geschichten sind dabei, sie sind Teil von Charly Hübners Sozialisation in der mecklenburgischen Provinz, wo die Mauer dann gerade noch rechtzeitig fiel – als er 16 war und bevor er anecken konnte. Auch die Erdung im wirklichen Leben des kleinen Mannes brachte er als Arbeitersohn von zwei Gastwirten mit in die Rollen als Minenarbeiter, Bankräuber, Busfahrer und Bulle, als Kleinkrimineller und Rocker. Die Lust am Spielen entdeckte Hübner an den Laientheatern seiner Heimat; 1993 begann er ein Studium an der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, es folgten Auftritte und Engagements in Berlin am Maxim-Gorki-Theater und der Schaubühne, in Frankfurt am Schauspielhaus und am TAT und am Züricher Schauspielhaus. Als er nach rund zehn Jahren fürs erste genug hatte vom Theater, schrieb er einen 15-Minuten-Krimi, spielte alle Rollen selbst und ließ den Bewerbungsfilm in der Branche kursieren. Ein Werbespot für die Dresdner Bank tat das Übrige, um den Weg in Fernsehen und Kino zu ebnen.

»Banklady« (2013)

In den folgenden zehn Jahren sammelte er mehr als 70 Auftritte vor der Kamera, zunächst kleine Nebenrollen, die im Gedächtnis hängen blieben, lange bevor man sich den Namen Hübner merkte – das kam dann mit dem Stasibeamten in »Das Leben der Anderen«. 2010 wurde er zum Rostocker Polizeiruf-Bullen Bukow, mit Bomberjacke und Dreitagebart sicher kein deutscher Musterpolizist, sondern einer, der den Geruch der Straße trägt und immer etwas Unberechenbares behält. In Stimmung bringt er sich dafür eine halbe Stunde vor Dreh mit den Fäusten am Sandsack, da lädt er sich für den Tag mit dieser ganz unmittelbaren und physischen Präsenz auf. Egal wie klein die Rolle ist, immer findet er ihre Essenz.

Ein Destillat all seiner Unter- und Mittelschichtstypen war dann der Robert Graetz in Stephan Ricks Debütfilm »Unter Nachbarn«, bei dem harmlose nachbarschaftliche Gefälligkeiten nach einem Unfall mit Todesfolge und Fahrerflucht besitzergreifend bedrohliche Dimensionen annehmen; spätestens als sich der neue Freund eine Freundin anlacht, schlägt das Kumpelhafte ins Psychopathische um. Die knappen Dialoge lassen viel Raum für das Ungesagte, das Hübners Spezialität ist, für die feine Sprache seines massigen Körpers. Das wiederum gilt auch für Walter in »Junges Licht«, der gerne ein guter Vater und ein guter Ehemann wäre, aber doch vor allem ein guter Freund ist: »Keiner malocht so wie dein Vater, und dabei ist er ein hundertprozentiger Kumpel!«

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