Buch-Tipp: Josef Schnelle – Eine Welt ist nicht genug
Wer schon in den 70er Jahren ins Kino ging, für den gehörte der Neue Deutsche Film meistens zum Pflichtprogramm. Fassbinder, Wenders, Herzog, das war so etwas wie das Triumvirat. 1979 war Werner Herzog ein eigener Band in der Reihe Film des Hanser Verlags gewidmet, sieben Jahre nach Fassbinder. Mittlerweile übersteigt die Zahl der Veröffentlichungen in englischer Sprache bei weitem die der deutschsprachigen. Auch Herzogs Filme finden hier im Kino kaum noch statt; seine gerühmten Dokumentarfilme, mit denen er sich im englischsprachigen Raum ein neues Publikum erschloss, sind bei uns so gut wie gar nicht als DVDs erschienen, die letzten beiden entstanden für Streamingdienste, nur dort ist auch sein letzter Spielfilm »Family Romance«, LLC zu sehen. Kennt ein junges Publikum Herzog vielleicht nur als Darsteller in der Disney-Serie »The Mandalorian«? Zeit, sich auf den neuesten Stand in Sachen Herzog zu bringen.
Josef Schnelle wählt dafür keine chronologische, sondern eine thematische Herangehensweise. Das erweist sich als sinnvoll und zeigt, dass es falsch wäre, den frühen deutschen Herzog (mit seinen Spielfilmen) gegen den späten amerikanischen (mit den Dokumentarfilmen) auszuspielen. Die zahlreichen thematischen und stilistischen Verbindungen zwischen zeitlich weit auseinanderliegenden Arbeiten herauszuarbeiten, ist die entscheidende Qualität dieses Buches, das der Autor selbst als »kritische Liebeserklärung« bezeichnet. Es geht also um »überlebensgroße Geschichten, die doch in der Geschichte fußen, auch in der Filmgeschichte«, um Herzogs »aufrichtigen, neugierigen und schonungslosen Umgang mit den Protagonisten seiner Filme« (bezogen auf seine Gespräche mit zum Tode Verurteilten in »Im Todestrakt«), um seine philosophierenden, von ihm selbst gesprochenen Kommentartexte in den Dokumentarfilmen, um »das Faszinosum lebensfeindlicher und im Grunde auch elementarer Welten« in Dschungel, Wüste und Eis, ums Grenzen überschreiten und ums Ekstatische, um den »Homo Spiritualis«. Dass die Filmografie im Anhang nur eine ausgewählte ist – wie schon in Schnelles Schlöndorff-Buch – und damit den Blick auf das Gesamtwerk verstellt, hätte nicht sein müssen. Aber dafür gibt es ja den 2010 erschienenen Sammelband »Lektionen in Herzog« oder Paul Cronins englischsprachiges »bibel-dickes« Interviewbuch (2014).
Josef Schnelle: Eine Welt ist nicht genug. Ein Reiseführer in das Werk von Werner Herzog. Schüren Verlag, Marburg 2021. 176 S., 19,80 €.
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