Interview mit Giulio Ricciarelli über seinen Film »Im Labyrinth des Schweigens«

_friederike_becht_giulio_ricciarelli.jpg

Foto: © UPI

Giulio Ricciarelli im Interview mit unserem Autor Frank Arnold über seinen Film »Im Labyrinth des Schweigens«

Sie haben geäußert, Sie wollten "keine Geschichtsstunde, sondern ein emotionales Kino-Erlebnis" bieten.

Unser Film ist ein intellektuell und geschichtlich anregender Film, aber auch ein emotionaler – und das kann nur Kino. Sie geben mir zwei Stunden Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie in den zwei Stunden einen Artikel lesen, wissen Sie danach mehr über diese Zeit, aber Sie wissen nicht mehr emotional. Das ist das Konzept des Films, den Zuschauer auf eine emotionale Reise mitzunehmen.

Dafür hat Ihre eigene Produktionsfirma sich mit Claussen+Wöbcke+Putz einen größeren Partner gesucht und mit der deutschen Universal sogar einen amerikanischen Major als Verleih gefunden, der in Bezug auf deutsche Filme zuletzt eher zurückhaltend war.

Claussen+Wöbcke+Putz kamen sehr früh hinzu, ebenso Universal als Verleiher. Sie hatten das Drehbuch gelesen, von dem wir im Verlauf von zweieinhalb Jahren viele Fassungen geschrieben haben. Frankreich, Italien und Israel haben den Film aufgrund des Drehbuches gekauft, in den USA wird ihn Sony Classics verleihen.

Gab es auch von Seiten Universals noch einen inhaltlichen Input?

Durchaus. So haben wir die historische Figur des Hermann Langbein, den Leiter des Auschwitz-Komitees, auf Betreiben von Universal eingefügt.

Der Film hat etwas Funktionales, aber die Figuren haben auch ein Eigenleben.

Wir waren uns darüber einig, dass wir eine klassische Dramaturgie haben wollten. Wir liefern ja viele geschichtliche Informationen, aber der innere Zustand des jungen Staatsanwaltes Radmann ist eigentlich unser Spannungsbogen. Auf einer Metaebene ist er die junge Republik, mit der Naivität am Anfang und dem Fast-Zerbrechen daran. Die Mengele-Figur, in die er sich verbeißt, hat auf der psychischen Ebene viel damit zu tun, denn es ist leicht, den Dämon zu hassen, aber was ist mit den Normalen, die, die z.B. das Zyklon B eingefüllt haben - sind die nicht dramatisch genug? Das ist auch ein Reifeprozess der Figur, sich der Normalität zu stellen.

Fritz Bauer wurde in diesem Jahr mit einer großen Ausstellung geehrt, gerade hat Lars Kraume mit den Dreharbeiten eines biografischen Films begonnen…

Durch die Besetzung mit Gert Voss machen wir ihn zu einer überlebensgroßen Figur, die er ja auch ist. Hätte man ihn zum Zentrum gemacht, hätte man anfangen müssen, in der Historie herumzuspekulieren, das wollten wir nicht. Wir nehmen uns die Freiheit, mit dem jungen Staatsanwalt diese emotionale Reise sehr frei zu erzählen, aber sonst sind wir sehr genau. Die Freundschaft zwischen dem Journalisten Gnielka und dem Staatsanwalt allerdings ist erfunden.

Bei einem schwierigen Thema wie diesem gibt es oft die Überlegung, es mithilfe prominenter Darsteller zu ‚verkaufen’.

Das wollen wir eigentlich nicht. Ich wollte dem Zuschauer auch einige unbekannte Gesichter geben. Fast alle haben Theatererfahrung. Mit Gert Voss zu arbeiten, war erst einmal sehr beglückend, er ist eine Legende, ein Idol, und - darauf hatte ich gehofft - die jungen Schauspieler brachten ihm den Respekt entgegen, den die jungen Staatsanwälte Fritz Bauer entgegenbrachten.

Die Schauspieler pflegen in diesem Film eher ein Understatement…

Ja, wir haben hervorragende Schauspieler. Wenn man jemanden besetzen will, der sehr gut ist, aber vielleicht kein bekanntes Gesicht hat, dann landet man fast zwangsläufig beim Theater. Zudem gab es teilweise auch sehr lange Dialoge, die sehr viel Information, aber auch sehr viel Gefühl vermitteln – und somit war klar: wir benötigen Leute, die mit der Sprache umgehen können.

Sie haben die fünfziger Jahre sehr konzentriert auf den Punkt gebracht. Was war Ihr Anschauungsmaterial?

Es gab einen Bildband über das "Wirtschaftswunder",  daraus wurde etwa das Bild mit den Jungs in Lederhosen und dem Kaugummiautomaten geboren. In dem Film »Das Mädchen Rosemarie« fand ich es interessant, die Ruinen zu sehen, die es in den Großstädten noch gab. Das Understatement gilt auch für Ausstattung und Kostüme; natürlich trugen die Männer in den fünfziger Jahren Hüte, aber eben nicht immer. Es wurde geraucht, aber auch nicht immer.

Haben Sie viel gebaut?

Eher Vorhandenes angepasst. Der Frankfurter Römer ist original, aber man musste doch viele Neuerungen entfernen, etwa eine digitale Infowand oder neue Lampen. Radmanns Zimmer haben wir in der Bavaria in eine bestehende Kulisse hineingebaut, für die Rechtsanwaltskanzlei, in der große Party stattfindet, nutzten wir das Casino der Jahrhunderthalle in Höchst. Das IG Farben-Haus ist original, es war damals das Hauptquartier der Amerikaner. Das Dokumentenarchiv, in das der Amerikaner ihn führt, fanden wir im einstigen Kriegsministerium von Bayern, wo alle Akten über Offiziere lagern. Die Produzentin Uli Putz hat so lange verhandelt, bis wir dort einen halben Tag drehen durften. Die Dreharbeiten haben sich auf Bayern und Franfurt verteilt.

Eindringlich ist die Szene mit den Telefonbüchern, die verdeutlicht, wie schwierig das Sammeln von Informationen damals war.

Man sucht während der Drehbucharbeit natürlich immer Bilder, die etwas verdeutlichen. Wir hatten das Bild von einem riesigen Lastwagen, in dem die Telefonbücher aus der ganzen Bundesrepublik gebracht werden. Aber dann stellte sich heraus, dass es gar nicht so viele waren, weil es eben noch nicht so viele Telefonanschlüsse gab, also war ein Kleintransporter angemessener. Wussten Sie, dass anfangs die Staatsanwälte einen Antrag stellen mussten, bevor sie ein Ferngespräch führen durften?

Die Darsteller der Auschwitz-Überlebenden…

…hat mein Regieassistent als Statisten engagiert. Ich habe bei jedem circa eine halbe Stunde Film, stumm gedreht. Ich habe sie oft wiederholen lassen – irgendwann waren sie so offen, dass sie ganz dokumentarisch wirkten – wie die Täter übrigens auch.

Sie sind im Alter von 4 Jahren nach Deutschland gekommen: würden Sie trotzdem sagen, dass der Film einen Blick von Außen auf die deutsche Geschichte wirft?

Wegen meines Namens bin ich hier immer der Italiener und fühle mich auch so - besuche ich meine Verwandten in Italien, bin ich für sie der Deutsche, d.h. man fühlt sich nicht wirklich identisch mit dem Land, das geht den meisten so, die solch eine Geschichte haben. Deutsch zu sein, fühlt sich anders an als Italienisch zu sein. Italien ist ein kontinuierlicheres Land. Den großen Einschnitt, den die NS-Zeit für Deutschland bedeutet, gibt es in Italien nicht.  Ich habe beides, den Blick von außen, und der Wille, das so emotional zu erzählen, ist wohl eher der italiensche Teil.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt